30 Jahre „Tag X“: Geschichte wird gemacht

Vor 30 Jahren rollten im Wendland die ersten Fässer mit Atommüll: Ein Rückblick auf einen historischen Kampf, der längst nicht vorbei ist.

Standortentscheidung: Ernst Albrecht (CDU) zeigt 1977 mit dem Mittelfinger auf Gorleben und meint es auch so. Bild: dpa

GORLEBEN taz | Am 8. Oktober 1984 kam der erste Atommüll nach Gorleben. 30 Jahre später hat sich der Widerstand gegen das Atommülllager dort erledigt – theoretisch. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist in Deutschland beschlossene Sache. Und der radioaktive Müll ist zwar ein bleibendes Problem, aber eines, dass nicht unbedingt mehr Gorleben trifft – Bundesregierung und Bundestag haben die Suche nach einem Endlager im vergangenen Jahr für neu eröffnet erklärt.

Transparent und demokratisch legitimiert soll diese Suche sein, auf einer „weißen Landkarte“ erfolgen, Vorfestlegungen soll es also nicht geben. Jeder Salzstock im Lande, jedes Granit- oder Tongestein kommt infrage. Theoretisch.

Eine Vorfestlegung auf Gorleben gibt es aber doch. Die weitere Erkundung des Salzstocks im Wendland wurde zwar unterbrochen, der Besucherverkehr nach unter Tage vorerst eingestellt, dem Bergwerk selbst aber ein sogenannter Offenhaltungsbetrieb verordnet. Das heißt, die Schächte und ein Verbindungsgang zwischen ihnen werden nicht zugeschüttet und können weiter genutzt werden. Weiterhin gilt für den Salzstock nach wie vor eine Veränderungssperre – eine andere Nutzung als die Prüfung auf Endlagertauglichkeit ist damit ausgeschlossen.

Anders als von den Anti-AKW-Initiativen vor Ort gefordert, scheidet der geologisch bestenfalls umstrittene und aufgrund jahrzehntelanger Tricks und Täuschungen politisch verbrannte Standort also nicht aus dem Suchverfahren aus, sondern bleibt im Rennen. Auf der vorgeblich weißen Landkarte ist Gorleben ein dicker schwarzer Fleck.

In der taz.nord vom Wochenende lesen Sie außerdem, was Wendland-Ikone Rebecca Harms (Grüne) zur Gewalt bei den Gorleben-Protesten sagt - und wie der Hamburger Anti-Atom-Aktivist Dieter Kröger die gleiche Frage bewertet. Dazu erklingen im Kopf Erinnerungen an demotaugliche Lieder von Fred Ape, Wolf Biermann, Udo Lindenberg, Walter Mossmann und Wolf Mahn. Gibt's an jedem guten Kiosk in Norddeutschland.

Unklar ist zudem, ob das Gorlebener Zwischenlager gegen alle Versprechungen künftig nicht doch von weiteren Castortransporten angefahren wird. Im Standortauswahlgesetz wird das zwar ausgeschlossen, doch haben sich die Bundesländer bislang nicht einigen können, wohin die noch ausstehenden 26 Behälter aus den Wiederaufbereitungsanlagen im französischen La Hague und im englischen Sellafield gebracht werden sollen. Die rot-grün geführten Länder Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein wollen ihre Standortzwischenlager nur für diese Castoren öffnen, wenn mindestens auch ein von der Union regiertes Bundesland mitzieht.

Obendrein drängt der Energiekonzern Eon jetzt auch vor Gericht darauf, dass er die Kosten der Umrüstung von Zwischenlagern an den AKW-Standorten nicht tragen muss. Das Unternehmen argumentiert, die Entscheidung gegen Gorleben sei aus politischen Gründen erfolgt, das dortige Zwischenlager bestens für die Aufnahme weiterer Castoren geeignet. Die anderen AKW-Betreiber wollen sich dem Vernehmen nach der Klage von Eon anschließen.

Stephan Weil (SPD) und Stefan Wenzel (Grüne) merken: Ihr Ja zum Endlagersuchgesetz begeistern nicht alle. Bild: dpa

Mit der Klage ist der Atommüllkompromiss faktisch im Eimer, urteilt die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Sie fordert insbesondere den Eon-Mann in der Endlagerkommission, Bernhard Fischer, zum Rücktritt auf – die Kommission soll bis Anfang 2016 Vorschläge für die eigentliche Endlagersuche unterbreiten.

„Die Lobbyvertreter haben nichts in einem solchen Gremium zu suchen“, sagt BI-Sprecher Wolfgang Ehmke. Die Atombranche sei kein seriöser Partner. Mit dem Rückbau des Gorlebener Bergwerks und der Aufgabe des Standorts müsse der Weg frei gemacht werden für einen tatsächlichen Neustart der Atommülldebatte.

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