Festgenommener Reporter über Türkei: „Es geht um Pressefreiheit“
Der Reporter Björn Kietzmann wurde mit seinen beiden Kollegen bei Protesten im türkischen Diyarbakir verhaftet. Erst nach 31 Stunden kamen sie wieder frei.
taz: Herr Kietzmann, wie geht es Ihnen?
Björn Kietzmann: Gut. Wir haben Diyarbakir verlassen und sind jetzt ein paar Autostunden entfernt.
Sie wurden dort bei Protesten von der Polizei festgenommen. Warum?
Wir waren am Nachmittag bei einer Beerdigung von syrischen Kämpfern. Wir haben dann Leute gefragt, ob es noch Proteste geben würde. „Ja klar“, sagten die. Keine offiziellen Demonstrationen, aber immer wieder kleinere Ausschreitungen. Wir sind mit dem Auto rumgefahren, haben Leute gesehen, die alte Sofas auf die Straße räumten und anzündeten. Wir stiegen aus, machten ein paar Fotos und warteten ab. Dann kamen Polizeiwagen, die Polizisten schossen Tränengas, die Protestierenden antworteten mit Feuerwerkskörpern. Wir zogen uns zurück zu einem Supermarkt, machten aus der Ferne noch ein paar Fotos – und wollten dann weg. Wir sind aber nur bis zur nächsten Ecke gekommen. Dort wurden wir von Männern in Zivil umstellt. Meinem Kollegen Chris Grodotzki wurde sofort der Arm verdreht. Wir sagten, dass wir Journalisten seien, wussten aber überhaupt nicht, wer die Männer waren. Wir dachten erst, das wären Demonstranten, die es nicht wollten, dass wir fotografierten. Keiner hat sich ausgewiesen.
Wann klärte sich auf, dass es Polizisten waren?
Als ein Panzer der Polizei herangewunken wurde und diverse zivile Polizeifahrzeuge hinzukamen. Wir zeigten unsere Presseausweise. Einer Polizist schrie „Fuck journalists“ und schlug unsere Papiere aus der Hand. Wir mussten unsere Hände aufs Fahrzeug legen, wurden gefilzt. Zwei Touristen wurden ebenfalls festgenommen. Wir mussten alle einsteigen und wurden weggefahren. Wir wurden zu einer Polizeiwache gebracht, wo wir mit „I love Hitler“ begrüßt wurden und standen eineinhalb Stunden aufgereiht mit dem Gesicht zur Wand. Acht Mal wurden wir durchsucht. Immer wieder fotografierten uns Polizisten mit ihren Handys. Die Fotos sind mittlerweile auf türkischen Nachrichtenwebsites aufgetaucht.
Wie ging es dann weiter?
Wir wurden in einen Verhörraum geführt, wo ein Englisch sprechender Beamter uns befragte. Wir erklärten unsere Situation, verlangten mit der Botschaft zu telefonieren und durften die dann auch anrufen. Da uns unsere Handys noch nicht abgenommen waren, konnten wir auch noch SMS und Tweets verschicken. Uns wurde erklärt, dass davon ausgegangen würde, dass ausländische Dienste die Proteste anheizen würden. Und wenn bei solchen Protesten wie in Diyarbakir ausländische Personen auftauchten, würde davon ausgegangen, dass die aufwiegelten. Und das würde nun überprüft.
Björn Kietzmann, 33, wurde am Samstag mit seinen beiden Kollegen Chris Grodotzki und Ruben Neugebauer am Rande von Protesten im türkischen Diyarbakir verhaftet. Erst nach 31 Stunden in Gewahrsam kamen die drei am Montag wieder frei.
Und was wurde Ihnen konkret zur Last gelegt?
Alles mögliche: Spionage, Terrorismus, Unterstützung der PKK. Das war diffus. Wir wussten ja gar nicht, dass wir nicht in einer normalen Polizeiwache, sondern in einem Stützpunkt der Antiterroreinheit waren. Aber dann entspannte sich die Situation.
Hatten Sie einen Anwalt?
Am Nachmittag nach der abendlichen Verhaftung kamen Pflichtverteidiger zu uns. Die Rechtsanwälte sagten uns, dass es noch eine Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft geben würde, der Polizei gegenüber sollten wir nichts mehr sagen – und daran hielten wir uns. Später kamen dann zwei weitere Anwälte. Einer vom deutschen Konsulat und eine, die ein britischer Kollege organisiert hatte. Die klärten uns auf, dass wir die Nacht wohl noch im Trakt verbringen müssten, am nächsten Tag zur Staatsanwaltschaft gebracht, dann abgeschoben und Einreisesperren bekommen würden.
Sie sind aber noch in der Türkei.
Ja. Die zwei Anwälte kamen gegen 23 Uhr am Sonntag zurück – wir hatten uns schon von denen verabschiedet – und sagten uns, dass wir bald rauskönnten, zur Ausländerbehörde, die würden unseren Status überprüfen. Das dauerte bis drei oder vier Uhr. Dann fuhren wir in unser Hotel. Schöne Betten, aber eine schlaflose Nacht. Am Morgen sind wir mit unserer Anwältin zum Staatsanwalt gefahren. Der fragte, ob wir aufgewiegelt hätten? Nein, hatten wir nicht. Ob wir jemals in Syrien waren? Ja, waren wir, aber im vergangenen Jahr. Dann sagte der Staatsanwalt: „Ich würde euch gern freilassen, aber ihr habt bei der Polizei nicht ausgesagt. Was soll ich davon halten?“
Und dann?
Er verstand unsere Situation mit den verschiedenen Anwälten und wir wurden offiziell entlassen. So gegen 17 Uhr war das. Zwei Stunden später haben wir dann auch unsere Kameras, unsere Speicherkarten und Handys von der Wache zurückbekommen.
Wie geht es nun weiter?
Wir sind die Nacht durchgefahren. Raus aus der Stadt. Abstand gewinnen. Wir werden noch ein bisschen hier bleiben. Formalitäten klären und zwei Geschichten zu Ende recherchieren. Das Verfahren wird dann in unserer Abwesenheit stattfinden.
Waren Sie offiziell als Journalisten im Land?
Es gibt Journalistenvisa. Aber die Zeit von der Beantragung bis zur Aushändigung kann einige Monate dauern. Das macht aktuelle Berichterstattung unmöglich. Als Tourist kann man leicht einreisen. Das haben wir gemacht. Wie die meisten Journalisten – außer Korrespondenten natürlich. Im Iran würde ich das nicht machen.
Sie wirken jetzt recht entspannt.
Ich weiß, dass es in dem Fall nicht um uns ging. Es geht um die Pressefreiheit in der Türkei, um Einschüchterung von Reportern. Wir hatten schlicht Glück, dass wir deutsche Staatsbürger sind. Den einheimischen Reportern geht’s viel schlechter. Als wir die Zellen bei der Antiterrorpolizei verließen, wurden andere Journalisten einkassiert – kurdische oder türkische.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren