Datenschutz in Niedersachsen: In jeder Imbissstube ein Spion

Jede noch so friedliche Kundgebung wird in Niedersachsen polizeilich überwacht. Wurden Daten von Demonstranten an den Verfassungsschutz weitergeleitet?

„Erstaunt und auch erschrocken“ ist der ehemalige niedersächsische Datenschutzbeauftragte Burckhard Nedden Bild: dpa

HANNOVER taz | Die Demonstration war klein und blieb völlig friedlich: Mit nicht einmal 25 Personen demonstrierte der „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ im Oktober 2012 mitten in Hannovers Innenstadt am Kröpcke für mehr Datenschutz. „Medienvertreter konnten nicht festgestellt werden“, notierte die Polizei trotzdem. Auch die „Bevölkerung“ habe „geringes bis kein Interesse“ gezeigt – was vielleicht auch am Megafon-Verbot lag, das die Beamten ausgesprochen hatten.

Nachzulesen ist das in einem „Verlaufsbericht“ der Polizeiinspektion Mitte in Hannover, den Demo-Anmelder Michael Ebeling jetzt öffentlich gemacht hat. Denn der Ingenieur der Elektrotechnik hat gegen das Megafon-Verbot geklagt – und erlebte üble Überraschungen: Zwar kassierte das Verwaltungsgericht Hannover Ende November die polizeiliche Auflage. Bei der Durchsicht der Prozessunterlagen aber musste Ebeling feststellen, dass die Polizisten der Landeshauptstadt seinen Namen an mindestens elf weitere Behörden weitergeleitet haben, darunter das Innenministerium, das Landeskriminalamt (LKA) und die Polizeiakademie mit Sitz in Nienburg an der Weser.

Zwar tauchen Ebelings personenbezogene Daten nicht im „Verlaufsbericht“ selbst auf – doch daran angeheftet war ein Flyer, in dem der 44-Jährige als „verantwortlich im Sinne des Presserechts“ gekennzeichnet war. „Warum braucht das LKA Informationen über die von mir angemeldete kleine Demo“, fragt Ebeling, der sich mittlerweile in der Bürgerrechts-Initiative „freiheitsfoo“ engagiert, deshalb. Außerdem fürchtet er, hinter dem Empfänger „hannover im“ könne sich der Verfassungsschutz verbergen – und warnt: „Zumindest Anmelder von Demonstrationen werden so massiv eingeschüchtert. Ich fühle mich überwacht.“

Gegenüber der taz wollten am Dienstag weder die Polizeidirektion Hannover noch das Innenministerium begründen, warum Ebelings Daten und der Verlauf seiner Kleindemo weitergegeben wurden. „Das läuft über die Behördenleitung und kann ein paar Tage dauern“, so ein Polizeisprecher. Auch das Innenministerium ließ zunächst die Frage offen, ob der dort angesiedelte Verfassungsschutz informiert wurde und ob JournalistInnen bei jeder Demonstration routinemäßig erfasst werden.

Kritik kommt dagegen von Datenschützern: „Erstaunt und auch erschrocken“ zeigt sich etwa Burckhard Nedden, der bis 2006 als niedersächsischer Datenschutzbeauftragter amtierte. Der Fall zeige, dass die Polizei selbst bei „Versammlungen unter freiem Himmel, die nur sehr wenige Teilnehmer und erkennbar kein Gefahrenpotenzial“ hätten, „Daten nicht nur erhebt, sondern auch speichert“. Da in dem „Verlaufsbericht“ einige Empfänger geschwärzt wurden, sei nicht einmal klar, ob auch andere Stellen außerhalb der Polizei bedient worden seien.

Dabei ist Hannover kein Einzelfall. Dem Göttinger Anwalt Sven Adam liegen mehr als ein Dutzend solcher „Verlaufsberichte“ vor, in denen die Polizei nicht nur die personenbezogene Daten wie Namen der Anmelder an Behörden in ganz Niedersachsen weitergegeben hat. Gemeldet wurde auch deren politische Einstellung. Bereits im April hat der Jurist zwei Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Datensammelwut eingereicht; am morgigen Donnerstag sollen zwei weitere folgen.

Zwar hatte das Innenministerium bereits im April versichert, dass zumindest die Weitergabe der personenbezogenen Daten seit 2012 untersagt worden sei – bei Fällen aus 2013 müsse es sich um Fehler handeln. Auch sollten an den Verfassungsschutz weitergeleitete Daten gelöscht werden. Geschehen ist das aber offenbar bis heute nicht: „Ich weiß, dass die ’Verlaufsberichte‘ beim Verfassungsschutz liegen“, sagt Adam. „Ich hatte Akteneinsicht.“

Ausgehöhlt werde so nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, warnt der Jurist, sondern auch die Versammlungsfreiheit: „Wenn Namen, Adressen und Geburtsdaten weitergegeben werden, schreckt das Demonstranten doch massiv ab.“ Sven Lüders, Datenschützer der Bürgerrechtsvereinigung Humanistische Union, geht noch weiter: „Es ist kein Szenario denkbar, wonach solche Verlaufsprotokolle von den Behörden legal verwendet werden dürfen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.