Propaganda für den Terror: Der IS öffnet das Tor zur Hölle

Nach dem Tod des Piloten ist der Ruf nach Rache in Jordanien laut. Hält die US-geführte Koalition gegen den IS den Druck nach dem Mord aus?

Demonstration zur Unterstützung des Kampfes gegen IS in Amman. Bild: AP

KAIRO taz | Wer dachte, dass mit Kopfabschneiden von Geiseln vor laufender Kamera der Tiefpunkt erreicht ist, wurde nun belehrt. Eine Hinrichtung in einem Käfig, von Kameras gefilmt und mit Spezialeffekten garniert: Der jordanische Pilot Moaz Al-Kassasbeh wird in dem Käfig dem Feuer übergeben und bei lebendigem Leib verbrannt. Die Tat steigert, was zu steigern nicht mehr für möglich gehalten wurde.

Die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ (IS) haben damit das erreicht, was sie wollten: weltweite Aufmerksamkeit im Horror. Sie folgen einer perversen Medienlogik, immer zu eskalieren, um nicht die Aufmerksamkeit zu verlieren. Doch ihr Hauptziel war wohl, das kleine, verwundbare Jordanien unter Druck zu setzen. Das Land soll die US-geführte Anti-IS-Allianz verlassen oder zumindest seine Beteiligung an den Luftangriffen reduzieren.

Der erste Reflex in Jordanien war aber der Ruf nach Rache. Die Menschen, die sich nach dem Verbreiten der Nachricht von dem furchtbaren Tod des Piloten vor dem Haus der Familie al-Kassasbeh versammelt hatten, riefen, dass sie die Mütter der IS-Kämpfer weinen lassen würden.

Der jordanische Informationsminister sprach von einer Reaktion des Militärs, das den IS-Boden zum Beben bringen werde. Der IS habe das Tor zur Hölle für sich geöffnet.

Abschreckung ist kein Rezept gegen Dschihadisten

Die erste Racheaktion erfolgte noch im Morgengrauen nach dem Verbreiten des Videos. Zwei im jordanischen Gefängnis sitzende Dschihad-Ikonen, Sajida al-Rischawi und Ziad Karboli, wurden hingerichtet. Rischawi hatte versucht, sich 2005 mit einer Sprengstoffweste in einem Hotel in Amman in die Luft zu jagen. Die Weste explodierte nicht. Der Sprengstoff am Körper ihres Mannes zündete, er riss 60 Menschen mit in den Tod. Karboli wird al-Qaida zugerechnet und wurde wegen geplanter Terrorangriffe zum Tode verurteilt. Im Falle Rischawis gab es Verhandlungen über einen möglichen Austausch mit dem Piloten al-Kassasbeh, der laut jordanischen Angaben schon Anfang Januar getötet wurde.

Nach der Veröffentlichung des Videos im Morgengrauen beschlossen die jordanischen Behörden, die Todesurteile zu vollstrecken, wohl auch, um die öffentliche Meinung im Land zufriedenzustellen, die nach Blut schreit. Ansonsten wurde damit wenig erreicht, außer dass der IS neue Märtyrer feiern kann. Abschreckung ist kein Rezept, das bei den Dschihadisten funktioniert.

Jordaniens Gesellschaft ist über Militäreinsätze gespalten

Der jordanische König Abdallah brach einen Besuch in Washington ab. Er muss dafür sorgen, die öffentliche Meinung zu Hause unter Kontrolle zu bringen. Denn wenn die erste Welle der Racherufe in Jordanien abebbt, wenn der König die Einheit seiner Untertanen beschworen hat und ihren verletzten Nationalstolz für die Sache der Anti-IS-Allianz eingesetzt hat, wird deutlich werden, dass die jordanische Gesellschaft in der Frage des Militäreinsatzes gegen den IS nicht einig ist.

Bei vielen ist die Sorge groß, dass angesichts der langen Grenze zum Irak und zu Syrien auch Jordanien für Militärschläge der Dschihadisten anfällig ist. Nicht zu vergessen, dass 2.000 bis 2.500 Jordanier in den Reihen des IS mitkämpfen. Sie stellen das drittgrößte arabische Kontingent außerhalb Syriens und des Irak, nach Saudi-Arabien und Tunesien.

Ernüchternde Umfrage über Terrororganisationen

Laut einer Umfrage des Zentrums für Strategische Studien der Universität Jordanien stuften nur 62 Prozent der Befragten Ende vergangenen Jahres den IS als Terrororganisation ein. 65 Prozent sahen im IS eine Gefahr für Jordanien. Fast jeder dritte Jordanier sieht also keine Notwendigkeit, bei der Allianz gegen den IS mitzumachen. Fast 70 Prozent sahen gar die Nusra-Front, den Al-Qaida-Ableger in Syrien, nicht als Terrororganisation an.

Es ist offen, welchen Schluss die Jordanier aus dem Mord an dem Piloten ziehen. Erhöht das langfristig den jordanischen Kampfeswillen gegen den IS? Oder führt der Mord dazu, den nicht unwesentlichen Teil der Jordanier zu stärken, die glauben, dass ihr Königshaus sich von Washington in einen unnötigen Konflikt hat hineinerpressen lassen, dessen Opfer nun Kassasbeh geworden ist?

Letzteres wäre ein schwerer Schlag gegen die von Washington geschmiedete Militärallianz, an der neben Jordanien auch Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate teilnehmen. Anfangs hatten diese Länder ihre militärische Beteiligung hochgehängt, in letzter Zeit ist es still darum geworden. Vorbei sind die Zeiten, als die Arabischen Emirate stolz mit einer Pilotin warben, die Einsätze gegen IS-Stellungen geflogen hatte. Seitdem Kassasbeh im Dezember über IS-Territorium abgestürzt war, haben die Emirate ihre Kampfeinsätze aus der Luft eingestellt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.