FC Sevilla in der Europa League: Nervensäge mit Erfolg

Unai Emery, der Trainer des FC Sevilla, ist ein Besessener. Den Fußball erfindet er oft neu. Nun bekommt es Gladbach mit dem Unberechenbaren zu tun.

Redet er sich erst mal warm, spricht der ganze Körper mit: Unai Emery Bild: dpa

BARCELONA taz | Er ist immer auf der Höhe des Geschehens. Offensiv und defensiv gleich stark. Er dirigiert und gestikuliert, er verschiebt und windet sich, er legt dabei eine Intensität an den Tag, wie sie sich jeder Trainer nur wünschen kann. Okay, streng genommen ist er selbst der Trainer. Aber wenn Unai Emery nicht diese maßgeschneiderten Anzüge tragen und das lange schwarze Haar nicht auch in der zweiten Halbzeit noch so formvollendet über den Nacken fallen würde – man könnte es glatt vergessen.

„Ich bin so geboren worden“, hat er mal gesagt. So impulsiv, so manisch. Vor den Spielen schreitet er den Platz ab, feste Laufwege von Strafraum zu Strafraum: „Den Rasen riechen und mich schon mal in Spielmodus begeben.“ Nach dem Anpfiff geht die Partie an der Seitenlinie weiter. Springen, knien, hocken. Flehen, lachen, bangen.

Ein Repertoire an Gesten und Mimiken, der jedem barocken Schlachtengemälde zur Ehre gereichen würde und heute wieder aufgeführt wird, während des Europa-League-Spiels von Borussia Mönchengladbach beim Titelverteidiger Sevilla. Im vorigen Mai gewannen die Andalusier das Finale im Elfmeterschießen gegen Benfica Lissabon. Für Emery war es die erste Trophäe einer erstaunlichen Karriere.

Großvater und Vater des 43-jährigen Basken hüteten das Tor des früher mal sehr bedeutsamen Klubs Real Unión Club de Irún an der französischen Grenze, er selbst absolvierte über 200 Zweitligaspiele für diverse Vereine und ließ seine Laufbahn beim südspanischen Drittligisten Lorca ausklingen, als dort der Übungsleiter gefeuert wurde. Über Weihnachten wurde Emery vom Spieler zum Trainer umfunktioniert, ähnlich wie einst Jürgen Klopp in Mainz.

Fußball-Pädagoge aus Leidenschaft

Er hatte nicht nur auf Anhieb sensationellen Erfolg und coachte Lorca noch in derselben Saison erstmals in die zweite Liga, wo er ein Jahr später nur um einen Punkt den nächsten Aufstieg verpasste. Er merkte auch sofort, dass ihm Trainersein mehr Spaß machte. Als Spieler habe er sich immer nur vom Druck und den Noten in der Sportpresse leiten lassen, erklärte er. Als Trainer gelänge es ihm, zu genießen und nie weiter zu denken als an die laufenden 90 Minuten.

Emery ist Fußball-Pädagoge aus Leidenschaft. Beziehungsweise: „Er ist eine kolossale Nervensäge“ – so sagte es ein Spieler aus Almería, das Emery nach Lorca übernahm, direkt in die Primera División und dort zum zweitbesten Abschneiden jemals eines Aufsteigers führte. „Er findet kein Ende, du langweilst dich zu Tode und denkst, es ist alles Mist … aber am Ende funktioniert es.“

Redet er sich erst mal warm, spricht der ganze Körper mit, und dann dauert es eben schon mal. Gern gibt er den Spielern zudem Hausaufgaben mit auf den Weg – bis seine Botschaften sitzen. Emery schätzt intensiven Fußball mit schnellem Umschalten, erfindet darüber hinaus aber für fast jeden Gegner eigene Taktik und Aufstellung.

Für Kritiker ein Besserwisser

In Valencia legten sie ihm das als Beliebigkeit aus – obwohl er den am Ruin stehenden Klub dreimal nacheinander in die Champions League führte. Kritiker empfinden Emery als Besserwisser, und solche erlebt man ja immer gern scheitern. Tatsächlich sieht er nicht nur ein bisschen aus wie einst Pat Riley, sondern kann auch in seinem Sendungsbewusstsein an einen amerikanischen Trainerguru erinnern. Etwa als er während einer Niederlagenserie in Valencia das Buch vorstellte: „Siegermentalität – die Methode Emery“.

In Sevilla fühlen sie, dass seine Schrullen vor allem aus dieser einzigartigen Passion rühren. Ihn ganz zu verstehen, bleibt trotzdem unmöglich, das sieht man schon an dem Spiel, das er seit einiger Zeit auf seiner Homepage ausrichtet. Bei „El Once de Unai“ können die Fans raten, wie Emery beim nächsten Ligaspiel aufstellen wird. Letztes Mal gegen Córdoba tippten 89 richtig, das war Rekord. Meistens errät die Startelf kein Einziger.

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