Kolumne Immer bereit: "Ohne Wartenummer geht nichts"

Die taz-Kolumnistin erlebt ein Abenteuer: Sie muss einen neuen Personalausweis beantragen.

Nein, das ist nicht Lea Streisand. Bild: DPA

Ich brauche einen neuen Ausweis. Wir sollen ja keine Texte mit „ich“ anfangen, aber der Personalausweis ist nun mal, wie der Name schon sagt, eine sehr persönliche Sache. Vor drei Wochen habe ich mir in Wien das Portemonnaie klauen lassen. Wie so ein richtiger Tourist! Auf der Rolltreppe am Stephansplatz aus dem Rucksack raus. Der Enkeltrick unter den Taschendiebstählen. Als hätte man sich in Berlin an der Weltzeituhr beim Hütchenspiel bescheißen lassen.

Seitdem hab ich alle drei Tage beim Fundamt angerufen, so heißt das in Wien. Die Wiener sagen auch „Geldsackerl“, was erstens viel hübscher klingt und zweitens so, als ob richtig Geld drin gewesen wäre. Der Ausweis war drin. Und die Geldkarten, die Bahncard, mein Behindertenausweis.

Letzten Freitag war ich beim Bürgeramt, so stolz, es noch vor eins geschafft zu haben. „Hallo, ich brauche einen neuen Ausweis“, sagte ich zu der Frau am Empfangsschalter, „ich hab alles dabei.“ Die Frau guckte mich über den Rand ihrer Brille hinweg an, als ob ich gerade ihre Großmutter beleidigt hätte. „Haben Sie einen Termin?“ – „Nein“, sage ich fröhlich, „aber ich bin ja hier. Ich hab die Fotos dabei, meine Geburtsurkunde, meinen abgelaufenen Reisepass … Kann ich den gleich mit verlängern lassen?“ – „Nu mal langsam“, sagt die Frau, „ohne Termin können Sie hier gar nichts.“ Mein Mut schwindet dahin wie Sachertorte in der Frühlingssonne. Missmutig hackt die Frau auf der Tastatur herum, die vor ihr auf dem Tisch steht, dann sagt sie, ohne aufzublicken: „Nächsten Freitag, halb eins.“ – „Wie?“, sage ich. Sie gibt mir einen DIN-A4-Bogen mit einer ausgedruckten Zahl drauf. „Das ist Ihre Wartenummer“, sagt sie. Ich muss lachen. „Eine Woche im Voraus?!“

Ich weiß noch, wie ich 1995 mit 16 meinen ersten Ausweis beantragt habe. Pappelallee, Ecke Eberswalder, da, wo heute dieser Laden drin ist, der „Meldestelle“ heißt. Dabei hat man da überhaupt nichts mehr zu melden. Nur Klamotten zu kaufen.

Vor zwanzig Jahren saß dort das Landeseinwohneramt. Durch einen schmalen Hausflur ging man die geschwungene Treppe hinauf in den ersten Stock und stand in einem muffig riechenden Raum der Farbrichtung Krankenhausessen. Zwischen unbequemen Holzstühlen, auf denen schlecht gelaunte Menschen saßen, hing an der Wand ein kleiner grauer Kasten von der Größe eines Schuhkartons, der aussah, als sei er noch von den fleißigen Arbeitern des untergegangenen Unrechtsstaats zusammengeschraubt worden. Mit Klebeband war ein Schildchen an dem Kasten befestigt: „Bitte Wartenummer ziehen!“ Darunter ein Pfeil zu einem dicken, roten Knopf.

Ich weiß es noch wie heute. Ich drücke auf den Knopf. Es quietscht, während die runde Scheibe unter dem Druck meines Daumens ein Stück weit im Kasten verschwindet, um, sobald ich loslasse, wieder hervorzuspringen. Es ertönt ein mechanisches Geräusch, dann spuckt der Kasten unten rechts einen Zettel aus. Wie so ein Kassenzettel. Ich reiße das Papier ab, schaue drauf und erstarre. Auf dem Zettel steht eine Nummer, ganz normal. Und: mein Name! Ich gucke den Zettel an, dann gucke ich den Kasten an, dann meinen Daumen. Dann wieder den Zettel. Wie um alles in der Welt hat dieses hässliche kleine Teil jetzt aus dem Abdruck meines Daumens meine Identität abgelesen? Frage ich mich. Alte Stasimethoden? Neue BND-Methoden? Illuminaten? Würde mir jetzt meine sozialistische Vergangenheit als Gruppenratsvorsitzende auf die Füße fallen?

Es war unbestreitbar: Auf dem Zettel in meiner Hand prangten drei große Druckbuchstaben: LEA. Ich brauchte fast die gesamte Wartezeit, bis mir der Gedanke kam, dass mein Vorname auch die offizielle Abkürzung der Behörde war, in der ich mich gerade befand, des Landes-Einwohner-Amtes.

Übrigens, das Flugzeug, mit dem ich nach Wien geflogen bin, hieß „OE-LEA“. Das stand außen dran. Und es ist nicht abgestürzt.

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