Verfassungsgericht prüft Atomausstieg: Kann man Strom enteignen?

RWE, Eon und Vattenfall klagen gegen ihre vermeintliche Enteignung. Die Karlsruher Richter prüfen nun ein wichtiges Detail. Ein Überblick.

Idyll in der Abendsonne: das AKW Grafenrheinfeld (Bayern). Bild: dpa

FREIBURG taz | Vier Jahre nach der Katastrophe von Fukushima startet am Bundesverfassungsgericht die heiße Phase im Verfahren um den Atomausstieg. Nach taz-Informationen hat der federführende Richter Michael Eichberger jetzt mit der Arbeit an seinem Votum, einer Art Urteilsentwurf, begonnen. Wir geben einen Überblick über den Prozess.

Wogegen wird konkret geklagt?

Der Bundestag hat im Sommer 2011 einen beschleunigten Atomausstieg beschlossen. Bei acht älteren Reaktoren endete die Betriebsgenehmigung sofort, weitere neun AKWs sollen gestaffelt bis 2022 abgeschaltet werden. Gegen dieses Gesetz, die 13. Atomgesetznovelle, richten sich die Klagen.

Wie viele Klagen gibt es?

Insgesamt haben die Energieversorger in Karlsruhe sieben Verfassungsbeschwerden eingelegt. Drei Verfahren behandelt das Verfassungsgericht nun vorrangig: die Klagen der RWE Power AG, der Eon Kernkraft GmbH sowie ein Verfahren zum AKW Krümmel. Zu den dortigen Klägern gehört auch die Vattenfall Europe Nuclear Power GmbH. Die erste spannende Frage des Prozesses wird sein, ob Vattenfall sich überhaupt auf Grundrechte berufen kann, denn das Unternehmen gehört dem schwedischen Staat, ist also kein wirklich privater Akteur.

Auf welche Grundrechte berufen sich die Atomkonzerne?

Die Konzerne behaupten, sie seien ohne Entschädigung enteignet worden, das sei verfassungswidrig. Aber war es wirklich eine Enteignung? Der Staat hat den Unternehmen die Meiler ja nicht weggenommen, sondern nur die Reststrommengen reduziert. Karlsruhe muss nun entscheiden, ob man zugesagte Strommengen enteignen kann.

Wenn der Atomausstieg keine Enteignung war, dann gilt er als Inhaltsbestimmung des Eigentums. Doch auch diese könnte unverhältnismäßig und deshalb ohne Entschädigung verfassungswidrig sein. Die Kläger argumentieren, dass sich das deutsche AKW-Risiko durch Fukushima nicht wirklich verändert hat, denn in Deutschland gebe es keine Tsunamis, die ein AKW überschwemmen könnten. Der Staat erklärt, nach dem Unfall im High-Tech-Land Japan sei es erforderlich gewesen, die Beherrschbarkeit von AKW-Katastrophen auch bei uns anders einzuschätzen. Außerdem sei der schnellere Atomausstieg den Konzernen zumutbar, da sie mit ihren Meilern insgesamt immer noch einen angemessenen Gewinn erwirtschaften können.

Die gleiche Abwägung von Argumenten müssen die Richter beim Grundrecht auf Berufsfreiheit vornehmen. Auch dort kommt es auf die Verhältnismäßigkeit an.

Wie viel Entschädigung wollen die Konzerne haben?

Formal werden keine Entschädigungen eingeklagt. Die Klagen richten sich vielmehr gegen den beschleunigten Atomausstieg. Falls sie Erfolg haben, könnten die AKWs also länger laufen. Der Staat könnte dann aber einen neuen Anlauf zum schnellen Ausstieg versuchen, diesmal mit Entschädigung.

Was ist bisher passiert?

Die Kläger, die Bundesregierung und die Länder haben schon viele Schriftsätze gewechselt. Insgesamt wurden in diesem Mammutverfahren schon mehr als 10.000 Seiten geschrieben. Der federführende Richter Michael Eichberger war bis Ende letzten Jahres allerdings noch mit dem Verfahren zur Erbschaftsteuer blockiert.

Wann wird die mündliche Verhandlung stattfinden?

Karlsruhe hat noch nicht entschieden, ob es eine mündliche Verhandlung gibt. Angesichts der Bedeutung des Rechtsstreits ist ein rein schriftliches Verfahren aber kaum vorstellbar. Realistisch ist eine mündliche Verhandlung Ende des Jahres. Das Urteil würde dann Anfang 2016 verkündet.

Welche Rolle spielt die zwischenzeitliche Laufzeitverlängerung?

Ende 2010, also kurz vor Fukushima, hatte die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag die Reststrommengen der AKWs erhöht. Dagegen hatten damals rot-grüne Bundesländer und die Opposition im Bundestag abstrakte Normenkontrollen beantragt. Begründung: Es habe die erforderliche Zustimmung des Bundesrats gefehlt. Über diese Klagen hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden. Sollte es bei den Konzernklagen gegen den Ausstieg darauf ankommen, ob die zwischenzeitliche Laufzeitverlängerung wirksam war, müssten die rot-grünen Klagen ebenfalls in beginnenden Verfahren geprüft werden. Das Mammut-Verfahren würde dadurch noch komplexer.

Welche Rolle spielt das Washingtoner Schiedsverfahren?

Vattenfall hat gegen den deutschen Atomausstieg auch beim Washingtoner Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) geklagt. Es beruft sich dabei auf die Energiecharta von 1994, einen völkerrechtlichen Vertrag zum Schutz ausländischer Investoren in der Energiebranche. Den Investoren wird darin eine „faire und gerechte Behandlung“ zugesichert. Letztlich wird es in Washington um eine ganz ähnliche Verhältnismäßigkeitsprüfung gehen wie in Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat aber keinen Kontakt zum Schiedsgericht.

Welche Rolle spielt das Atommoratorium?

Nach Fukushima wurde bereits im März 2011 (also vor der Änderung des Atomgesetzes) die sofortige Stilllegung und Untersuchung der acht älteren AKWs angeordnet. Dieses Atommoratorium ist nicht Thema in Karlsruhe, sondern bei den Verwaltungsgerichten, weil es um Verwaltungsmaßnahmen geht. Auf Klage von RWE wurde im Fall des AKW Biblis inzwischen festgestellt, dass die mehrmonatige Stilllegung rechtswidrig war.

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