Betreuungsgeld vor dem BVerfG: Streitpunkt „Erforderlichkeit“

Das Bundesverfassungsgericht debattiert über das Betreuungsgeld: War diese Leistung „erforderlich“? Und: Durfte der Bund das überhaupt?

Mancherorts eine knappe Ressource: der Kitaplatz. Bild: reuters

KARLSRUHE taz | Wenn das Betreuungsgeld kippt, dann nicht, weil es Eltern ungleich behandelt oder Rollenbilder verfestigt, sondern aus Kompetenzgründen. Möglicherweise durfte der Bund das Gesetz nämlich gar nicht beschließen. Diese Klippe zeichnete sich an diesem Dienstag bei der mündlichen Verhandlung am Bundesverfassungsgericht ab.

Das Betreuungsgeld prämiert Eltern mit monatlich 150 Euro, wenn sie ihr Kind im zweiten und dritten Lebensjahr nicht in eine staatlich geförderte Kita schicken. Eingeführt wurde die Sozialleistung auf Druck der CSU unter der schwarz-gelben Koalition. Die Bundes-SPD wollte das Betreuungsgeld eigentlich wieder abschaffen, konnte sich bei Bildung der großen Koalition aber nicht durchsetzen. Doch das SPD-regierte Bundesland Hamburg hatte 2013 eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht erhoben.

In Karlsruhe begründete jetzt Sozialsenator Detlef Scheele die Motivation: „In Hamburg haben fünfzig Prozent der Kleinkinder Migrationshintergrund. Diese Kinder haben deutlich weniger Sprachprobleme, wenn sie frühzeitig in die Kita gehen. Hamburg wirbt daher bei den Eltern für den Kitabesuch. Inzwischen ist sogar der Kitabesuch kostenlos. Und dann kommt der Bund und zahlt eine Prämie von 150 Euro dafür, das Kind nicht in die Kita zu geben.“ Mit diesem „Fehlanreiz“ konterkariere der Bund die Hamburger Politik.

Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) konterte: „Wer behauptet, 1- bis 2-jährige Kinder verpassen Bildungschancen, wenn sie zu Hause betreut werden, verunsichert Eltern.“ Es gebe Untersuchungen, wonach auch zweijährige Kinder mit Migrationshintergrund zu Hause genauso gut aufgehoben sind wie in der Kita. „Wer etwas anderes behauptet, diffamiert die Eltern dieser Kinder“, so Müller. Gute Elternschaft sei „keine Frage der Herkunft“.

Bund: „Öffentliche Fürsorge“

Die juristisch entscheidende Frage wird sein: Durfte der Bund das Betreuungsgesetz überhaupt beschließen? Die Bundesregierung berief sich auf die Bundeskompetenz der „öffentlichen Fürsorge“. Hamburg kritisierte, dass die Elternschaft „keine individuelle Notlage“ sei. Doch die Bundesregierung erinnerte daran, dass auch schon das Kindergeld, das Elterngeld und die Lohnfortzahlung im Mutterschutz auf diese Kompetenz gestützt wurden. So sehen es wohl auch die Richter.

Probleme könnte es aber geben, weil der Bund nur dann Gesetze zur „öffentlichen Fürsorge“ beschließen darf, wenn „die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ eine bundesweite Regelung „erforderlich macht“. So steht es in Artikel 72 Grundgesetz. Der Bund räumte ein, dass das Betreuungsgeld allein nicht bundesweit erforderlich sei.

Man müsse deshalb das „Gesamtkonzept“ betrachten. Einerseits wurde für Ein- bis Zweijährige ein Anspruch auf einen Kitaplatz eingeführt. Andererseits sollten die Eltern, die ihr Kind privat betreuen (lassen), eine „materielle Anerkennung“ erhalten, erläuterte Michael Sachs, der Rechtsvertreter des Bundes. Er bat die Richter, das Kriterium der „Erforderlichkeit“ nicht allzu streng auszulegen.

Doch Gabriele Britz, die federführende Verfassungsrichterin, gab zu bedenken, dass die „Erforderlichkeitsklausel“ 1994 zum Schutz der Länder gezielt verschärft worden war. Im Jahr 2006 wurde sie zwar für viele Materien wieder entschärft, aber nicht für die öffentlich Fürsorge. „Daran müssen wir uns halten“, betonte Britz. Der Senatsvorsitzende Friedrich Kirchhof warnte: „Man kann Kompetenzschranken nicht durch politische Kompromisse überspielen“.

Ergebnis der Beratung: offen

Ralf Kleindiek, der SPD-Familienstaatssekretär, ist eigentlich ein Gegner des Betreuungsgelds, verteidigte aber vehement die „Handlungsfähigkeit des Bundes“. Zuhilfe kam ihm der bayerische Rechtsvertreter Martin Burgi: „Es gehört zum Einschätzungsspielraum des Bundesgesetzgebers, wann ein ’Gesamtkonzept‘ vorliegt.“ Da zeigte sich Richterin Britz erstaunt: „Das würde dem Bund aber enorme Spielräume eröffnen. Wollen Sie das wirklich?“ Der Professor bejahte – jedenfalls wenn es um das Betreuungsgeld geht.

Ob die Richter sich überzeugen lassen, blieb offen. Fünf der acht Richter müssten dem Hamburger Antrag zustimmen. Dann gälte das Gesetz über das Betreuungsgeld als verfassungswidrig.

Grundrechtsfragen wurden in der knapp vierstündigen Verhandlung nur noch am Rande diskutiert. Hamburg hatte moniert, dass die umstrittene Sozialleistung in die Entscheidungsfreiheit von Eltern eingreife und die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau behindere. Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.