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Archiv-Artikel

Wille zur Toughness

In seinem Film „Clean“ verfolgt Olivier Assayas behutsam, wie Maggie Cheung als drogenabhängige Indie-Königin durch Metropolen und über Industriebrachen driftet

Cheungs Blick wird mit jeder Enttäuschung leerer, die Widrigkeiten formen ihr Gesicht wie zerknittertes Papier

Der Zauber ist hin. Emily (Maggie Cheung) und Lee (James Johnston) waren bestimmt ein tolles Rock-'n'-Roll-Paar in den Achtzigern. Jetzt sind ihnen nur Drogen geblieben und die Hoffnung auf einen Plattendeal. Doch dies ist das neue Jahrtausend, für den Grunge von gestern interessiert sich niemand mehr. Und das Heroin? Gibt Emily zwar den betäubenden Kick, Lee aber ist nach einer Überdosis tot. Schon mit diesem zehnminütigen Intro hat Olivier Assayas den Rahmen für seinen Film „Clean“ abgesteckt: Nach dem Sturm und Drang kommt die lange Zeit, da man für jede Ausschweifung bezahlen muss.

Emily bezahlt viel. Weil sie Junkie ist, soll ihr Sohn Jay bei den Eltern von Lee aufwachsen. Weil sie immer on the road war zwischen den Metropolen dieser Welt, hat sie nirgendwo ein Zuhause. Weil es im Musikgeschäft nur gute Bekannte, aber keine Freunde gibt, steht sie ohne Geld auf der Straße, während ein cleverer Produzent den Tod ihres Lebensgefährten vermarktet. Und weil sie außer ihrem coolen MTV-Schick nichts gelernt hat, kann sie froh sein, als ein chinesischer Onkel in Paris ihr einen Aushilfsjob in seinem Restaurant besorgt. Das sind reichlich Mythen, vom rockenden Outlaw- und Riot-Girl bis zur gehassten Muse aus Fernost. Wer würde nicht an Yoko Ono denken? Oder an Courtney Love?

Bei Assayas führt der Weg in eine emotionale Sperrzone, und er folgt Emily dabei überaus sachte, manchmal auch in sehr stilisierten Bildern. Hier eine starr vermessene Industriebrache, dort ein müder Blick in nächtliche Bars, danach dämmert frostig der nächste Morgen. Die urbane Eintönigkeit und das stete Gefühl, überall fremd zu sein, erinnern an frühe Filme von Wim Wenders, dazu sphärisch flimmernde Musik von Brian Eno und Boards of Canada. Denn die Dinge des Lebens dauern: Wie Emily nervös Methadon einwirft, um im Alltag einigermaßen funktionieren zu können; und wie sie dann doch irgendwann völlig aufgelöst einer Freundin vorheult, dass sie so gerne noch mal von vorne anfangen würde, wenn der Sohn nur bei ihr wäre. Als sie sich für das Kind entscheiden könnte, reist sie trotzdem zu Plattenaufnahmen nach San Francisco.

Dass „Clean“ dabei nicht in eine sozialromantisch gebauschte Story vom Scheitern abkippt, liegt an seiner Hauptdarstellerin. Als Emily gleitet Cheung mit einem ungeheuren Willen zur Toughness durch das Geschehen, und doch wird ihr Blick mit jeder Enttäuschung ein wenig leerer, formen die Widrigkeiten ihr Gesicht wie ein arg zerknittertes Blatt Papier. Gerade in der Reduktion macht Cheung sichtbar, wie schwer die Balance zwischen Drogenexistenz, Popstartum und Muttergefühlen zu halten ist. In Cannes sah es die Jury wohl ähnlich, dort wurde sie für ihre Rolle 2004 mit der Goldenen Palme als beste Schauspielerin ausgezeichnet.

Nebenher zeigt Assayas mit „Clean“ aber auch ziemlich genau auf, dass ungeordnete Verhältnisse eben keine ordentliche Erzähllogik hervorbringen. Die Handlung driftet vom Nouvelle-Vague-Melodram zum spröden Psychogramm und zur Milieu-Studie, so wie auch Emily keinen Ort findet, an dem sie sich heimisch fühlt. Lose Enden, ein Patchwork aus Intensitäten und verbockten Momenten. Insofern ist „Clean“ wie die Songs, die Emily schreibt – ohne Melodie und ohne erkennbaren Refrain.

HARALD FRICKE

„Clean“ läuft im Central-Kino, Rosenthaler Straße 39