Eurojustiz rüttelt an der Frauenquote

■ Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof fordert: Auch wenn Frauen unterrepräsentiert sind, darf keine bevorzugt eingestellt werden. Nach der Bremer Frauenförderung soll jetzt auch die in NRW gekippt werden

Freiburg (taz) – Jetzt wird es ernst für die Frauenquoten in Deutschland. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Herbst 1995 bereits die strenge Bremer Quote gekippt hatte, droht dasselbe Schicksal nun auch dem etwas weniger rigiden Frauenförderungsgesetz für den öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen. Der Generalanwalt am EuGH, der die Urteile des EU-Gerichtes vorbereitet, machte in seinem gestrigen Plädoyer keinen Unterschied zwischen beiden Regelwerken. Das Urteil des Gerichtshofs wird noch vor Juli erwartet.

Auslöser des Verfahrens war der Gesamtschullehrer Hellmut Marschall aus Schwerte, der von Besoldungsstufe A 12 auf A 13 befördert werden wollte. Unter Hinweis auf das nordrhein-westfälische Frauenförderungsgesetz erhielt jedoch eine gleich qualifizierte Kollegin den Zuschlag. Im Regierungsbezirk Arnsberg sind Frauen in A-13-Stellen derzeit noch „unterrepräsentiert“, das heißt: Sie besetzen weniger als 50 Prozent dieser Posten.

Lehrer Marschall klagte vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Dieses legte den Streit dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor. Marschall beruft sich auf eine EU-Richtlinie, die nicht nur die Diskriminierung von Frauen, sondern auch die von Männern verbietet.

Sein Vorbild ist der Gartenbauingenieur Eckard Kalanke, der 1995 die Bremer Frauenquote zu Fall brachte. Auch Kalanke war bei der Beförderung eine Frau vorgezogen worden. Damals urteilten die Luxemburger Richter: Gesetze, bei denen die Frau „automatisch“ den Vorrang erhält, sind EU-rechtswidrig.

Ganz so automatisch soll es nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz nicht zugehen. Die Frau wird bei gleicher Qualifikation nur dann bevorzugt, wenn „nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen“. Diese „Härtefallklausel“ war von vielen BeobachterInnen als entscheidender Unterschied zur Bremer Regelung gesehen worden. Der englische Generalanwalt Francis Jacobs wollte sich dem nicht anschließen: „Der Vorbehalt ändert nichts am diskriminierenden Charakter der Regelung im allgemeinen.“

Der EuGH ist an dieses Votum nicht gebunden. In der EU-Richtlinie nämlich ist die Bevorzugung von Frauen ausdrücklich zugelassen, wenn es um „Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen geht“. Generalanwalt Jacobs hat den Begriff der Chancengleichheit jedoch sehr eng ausgelegt. Daß die EU-Kommission und zahlreiche EU- Staaten inzwischen ein weitergehendes Konzept der „Chancengleichheit“ vertreten, darauf wies in einer ersten Stellungnahme auch die Düsseldorfer Frauenministerin Ilse Ridder-Melchers hin. Ähnliche Gesetze wie in NRW gelten auch für den öffentlichen Dienst in Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein. Christian Rath

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