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Jetzt mehr Schutz gegen die „Lex Wackersdorf“

■ BVerfG-Urteil: Gerichte müssen Rechtmäßigkeit von Vorbeugehaft überprüfen

Karlsruhe (taz) – Das Bundesverfassungsgericht hat zwar keine grundsätzlichen Bedenken gegen die 1989 eingeführte bayerische Vorbeugehaft. Verbessert wurde jedoch der Rechtsschutz gegen den Polizeigewahrsam. Festgenommene können jetzt die Zulässigkeit einer derartigen Verhaftung überprüfen lassen, auch wenn sie selbst lange frei sind. Bisher galten solche Klagen als unzulässig.

Bis zu 14 Tage können BürgerInnen in Bayern festgehalten werden, um Straftaten oder „erhebliche“ Ordnungswidrigkeiten zu verhindern. Als „Lex Wackersdorf“ hatte diese Änderung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes 1989 für Furore gesorgt. Ähnliche Gesetze existieren in Baden- Württemberg und Sachsen. Eine Klage beim CSU-dominierten Bayerischen Verfassungsgericht blieb 1990 erfolglos.

Auch vor den Karlsruher RichterInnen hatte das Gesetz jetzt Bestand. Der Segen für die „Lex Wackersdorf“ wurde allerdings nur in einem Nebensatz erteilt. Eine ausführliche Prüfung schien dem Gericht überflüssig, weil die Verfassungsbeschwerde von vier Mitgliedern einer bayerischen Friedensgruppe im übrigen Erfolg hatte.

Dem gestern veröffentlichten Beschluß lag folgender Fall zugrunde: Anläßlich des Hiroshima- Gedenktages 1989 hatte die religiös motivierte Friedensgruppe „Mahnwache Gundremmingen“ zu einem „Die-in“ vor dem dortigen AKW aufgerufen. Nachdem behördliche Auflagen nicht exakt eingehalten worden waren, nahm die Polizei einfach vier Mitglieder der Gruppe in „Unterbindungsgewahrsam“ (so heißt die Vorbeugehaft offiziell). Diese Überreaktion war sogar der bayerischen Staatsregierung peinlich. Sie ordnete daher die sofortige Freilassung der drei Männer und einer Frau an.

Eine gerichtliche Überprüfung der Verhaftung scheiterte jedoch an der damals üblichen Rechtsprechung. Danach konnte gegen bereits erledigte Polizeimaßnahmen nicht mehr geklagt werden, wenn diese richterlich angeordnet waren. Ein formales Argument. Denn ein Gericht ist im Vorfeld solcher Maßnahmen gar nicht in der Lage, eine gründliche Prüfung vorzunehmen, weil es fast völlig auf Polizeiinformationen angewiesen ist.

Deshalb hatte Karlsruhe vor vier Wochen auch Rechtsschutz gegen erledigte Polizeimaßnahmen zugelassen (taz 12.6. 1997). Gestern wurde diese erfreuliche Rechtsprechung auch auf den Polizeigewahrsam nach bayerischem Muster übertragen. (Az.: 2 BvR 126/91 und 2 BvR 941/91) Christian Rath

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