Kanzlers Tunnel abgesoffen

■ Berlins größtes Bauprojekt ist gefährdet: Die 3,7 Kilometer lange Riesenröhre unter dem Regierungsviertel ist gerissen. Um den Einsturz zu verhindern, wurde sie geflutet

Berlin (taz) – Die längste Baugrube der Republik havariert. Am südlichen Ende des 3,7 Kilometer langen Berliner Tiergartentunnels, der unter dem Regierungsviertel gegraben wird, dringt seit Donnerstag nacht Grundwasser ein. Rund 200 Quadratmeter Erdreich rund um das Teilstück der zukünftigen Eisenbahnröhre sind dabei in die Tiefe gesackt. Um den Einsturz des gesamten Baustellengeländes zu verhindern, pumpte die Feuerwehr zusätzlich 30.000 Kubikmeter Wasser als Druckausgleich in die unterirdische Betonhöhle. Die Bauarbeiten an dem 4,5 Milliarden Mark teuren Renommierprojekt der Bahn AG und des Bundes ruhen seither.

Welche Konsequenzen sich aus der Havarie für die Parlamentsbauten rund um den Reichstag ergeben werden, ist bislang noch unklar. Auswirkungen auf den Umzug der Bundesregierung habe der GAU beim Tunnelbau nicht, sagte Cosima Ningelgen vom Bundesbauministerium.

Die Bahn AG setzte gestern eine Kommission ein, die klären soll, wie es zu dem Tunnel-GAU gekommen ist und welche Auswirkungen dieser auf die Fertigstellung des Schienenkonzepts zwischen dem neuen Regierungsbahnhof Lehrter Straße und dem ICE-Haltepunkt Papestraße haben könnte. Während die Sprecherin der Bahn AG, Claudia Ruttmann, den Wassereinbruch herunterspielte und größere Beeinträchtigungen für die Tunnelplanung sowie die oberirdischen Bauten ausschloß, blüht nach Ansicht der IG BAU sowie des verkehrspolitischen Sprechers von Bündnis 90/Die Grünen, Michael Cramer, dem gesamten Bahnprojekt eine „massive Bauverzögerung“.

Das jetzige „Horrorszenario“, so Cramer, lasse befürchten, daß die geplante Fertigstellung im Jahr 2003/2004 nicht mehr zu halten sei. „Der Unfall auf der Megabaustelle“ könnte die Planung bis über das Jahr 2004 ausdehnen und damit entscheidend verteuern. Zugleich sei nicht auszuschließen, daß sich die damit zusammenhängenden Planungen für den Bahnhof Lehrter Straße verzögern könnten, sagte IG-BAU-Geschäftsführer Rainer Knerler. Nach Angaben der Bahn-Ingenieure entstand der Schaden nach dem „Anbohren“ des unterirdischen, 60 mal 37 Meter großen Senkkastens. Die Betonwand des Kastens wurde vom Druck des Grundwassers gesprengt. Von den Senkkästen aus werden die Tunnelröhren gegraben. Rolf Lautenschläger

Bericht Seite 5