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Bundeswehr als Lehrstellenkiller

Darf der Bund junge Männer einberufen, die bereits einen Ausbildungsvertrag in der Tasche haben? Darüber verhandelt heute das Bundesverwaltungsgericht  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

Verkehrte Welt: die einen suchen ihn, die anderen haben ihn, doch am Ende stehen beide ohne da – ohne den begehrten Ausbildungsplatz. Denn während Zehntausende noch vergeblich nach einer Lehrstelle fahnden, geht anderen der zugesicherte Ausbildungsplatz verloren. Sobald die Bundeswehr ruft, ist die Lehrstelle futsch. Ob dies in Zeiten dramatischer Lehrstellenknappheit Rechtens ist, darüber muß heute das Bundesverwaltungsgericht befinden. Am Beispiel eines jungen Mannes aus Niedersachsen, der eine feste Ausbildungszusage von der Post hatte, müssen die Richter entscheiden, ob die Bundeswehr Azubis zu Unrecht einberuft.

Anfang März sollte der junge Mann seinen Grundwehrdienst in der Kaserne antreten. Zu diesem Zeitpunkt hatte er längst einen Lehrvertrag in der Tasche. Am 1. August sollte die Ausbildung zur „Fachkraft für Brief- und Frachtverkehr“ bei der Post AG beginnen. Seinen Antrag, ihn bis zum Abschluß der Lehre zurückzustellen, hatte das Kreiswehrersatzamt abgelehnt. Nur wenn die Erstausbildung bereits begonnen wurde, könne Aufschub gewehrt werden, argumentierte die Bundeswehr. Ansonsten lasse das Wehrpflichtgesetz eine Zurückstellung nur zu, wenn die Einberufung aus „persönlichen, häuslichen, wirtschaftlichen oder beruflichen Gründen eine besondere Härte bedeutet“. Der Verlust eines sicheren Ausbildungsplatzes sei keine solche Härte. Nur wenn es sich um eine „außergewöhnliche Möglichkeit der beruflichen Ausbildung“ handele, um eine gänzlich unwiderbringliche Chance zur Erreichung des Berufsziels, sei eine Zurückstellung möglich. So hatte es auch das Bundesverwaltungsgericht 1979 in einem Grundsatzurteil entschieden. Jetzt müssen die Bundesverwaltungsrichter ihre eigene Entscheidung auf den Prüfstand stellen. Denn das Verwaltungsgericht Lüneburg gab dem Postazubi recht, und die Bundeswehr ist dagegen gleich vor die höchste Gerichtsinstanz gezogen.

Die Ausbildungssituation habe sich seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vor achtzehn Jahren grundlegend geändert, hatten die Lüneburger Richter ihre Entscheidung begründet. „Angesichts der großen Schwierigkeiten auf dem Lehrstellenmarkt, bei dem sich die Aussichten auf einen Ausbildungsplatz jährlich verschlechtert haben und nicht abzusehen ist, daß sie sich verbessern“, liege sehr wohl eine besondere Härte vor, die eine Zurückstellung rechtfertige. Es sei ungewiß, „ob der Wehrpflichtige überhaupt einen, geschweige denn einen gleichen oder vergleichbaren Ausbildungsplatz nach Ende der Einberufungszeit erhalten würde“. Im konkreten Fall habe die Post AG nicht zusichern können, daß der Bewerber die vereinbarte Ausbildung auch nach Ablauf seines Grundwehrdienstes machen könne. Im Gegenteil. Die Post konnte nicht einmal sagen, ob sie ein Jahr später überhaupt noch Lehrstellen anbieten wird.

Während der Postazubi nicht zum Bund will, weil er eine Lehrstelle hat, zieht es Tausende dorthin, weil sie keine haben. Die Zahl der jungen Männer, die sich für zwei und mehr Jahre verpflichten, hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. 1996 ist sie auf 42.000 gestiegen. Seit Januar 1996 wird zudem ein zusätzlicher Wehrdienst angeboten. Wer an den Grundwehrdienst ein paar Monate dranhängt, bekommt dieses „Nachsitzen“ gut entlohnt: Monatlich 1.200 Mark netto. Die Bundeswehr kann sich vor Bewerbern kaum retten. Seit 1996 haben sich knapp 70.000 Wehrpflichtige für diese Variante entschieden.

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