: Umfaller gegen Ajatollahs
Die grüne Basis in Nordrhein-Westfalen streitet verbissen um die Frage, ob die Partei die Koalition mit der SPD weiterführen soll oder nicht. Die meisten Kreisverbände plädieren vor dem Parteitag fürs Weitermachen ■ Aus dem Revier Walter Jakobs
Die Säle sind überall im Lande proppevoll. Wie kaum ein anderes Problem zuvor treibt die Düsseldorfer Koalitionsfrage die grüne Basis in Nordrhein-Westfalen um. Ganz so, als ginge es auf dem Parteitag am Sonnabend um Sein oder Nichtsein der Partei. Mal flehen und fluchen die Leute, dann argumentieren sie wieder kühl und sachlich. In diesem Kampf, der die grüne Seele aufwühlt, mangelt es an nichts. „Wenn wir jetzt in der Regierung bleiben“, ruft Karsten Schäfer am Dienstag abend auf der Sitzung des grünen Kreisverbandes in Bochum ganz erregt, „dann kriechen wir wieder zu Kreuze, dann können wir unsere Glaubwürdigkeit vergessen. Deshalb müssen wir die Koalition jetzt verlassen.“ Die Gegenargumente zählt Lutz Eisel auf. „Das Handtuch zu schmeißen wäre Kapitulation. Wer jetzt aussteigt“, sagt der Alt-68er aufgebracht, „wählt im Grunde genommen Helmut Kohl.“
Irgendwo dazwischen sucht Gerd Mai seine Position. Der grüne Landtagsabgeordnete vertritt den Kreis Heinsberg, in dem das geplante 42 Quadratkilometer große Garzweiler-Loch nach dem Willen der SPD ab dem Jahre 2006 gebaggert werden soll. Mai berichtet von einer Versammlung mit über 100 Vertretern aus den Bürgerinitiativen der Region, „von denen keiner unseren Ausstieg gefordert hat“. In einer Situation die Koalition zu verlassen, in der „unsere Umweltministerin Bärbel Höhn am Zuge ist“, hält Mai für „unglaubwürdig“.
Glaubt man Gisela Irsing, die im Abbaugebiet lebt und seit über einem Jahrzehnt in Bürgerinitiativen gegen das Projekt streitet, dann muß Mai sich um seine Glaubwürdigkeit in der Tat nicht sorgen. „Wenn die Grünen jetzt rausgehen, sind wir hier alle furchtbar dran“, fürchtet die 62jährige. In ihrem Dorf Holzweiler hat sie auf eigene Faust bei über 50 Leuten eine kleine Umfrage gestartet. Ergebnis: „Alle wollten, daß die Grünen drinbleiben.“
Bei den Grünen in Bochum hinterlassen solche Stimmen von Betroffenen aber nur wenig Eindruck. Daß die Leute vor Ort sich an den letzten Strohhalm klammerten, sei angesichts der „Illusionen“, die Bärbel Höhn über ihre Eingriffsmöglichkeiten verbreite, nicht verwunderlich, heißt es. Zumal Garzweiler, so Monika Mangen, „nur die Spitze“ einer Entwicklung darstelle, in deren Verlauf die Bündnisgrünen auf vielen wichtigen Feldern „zu Handlangern der SPD“ mutiert seien. Mangens Fazit: „Jetzt reicht es!“
Am schärfsten geht der Bochumer Parteisprecher Martin Budich die grüne Umweltministerin an. Das von Höhn vorgelegte Überprüfungsprogramm zur Klärung der wasser- und energiewirtschaftlichen Fragen sei „ein böser Trick“ zur Rettung der Koalition. Höhn agiere nur noch „peinlich“. Vorwürfe, die ein aufgebrachter Lutz Eisel wenig später als Beleg dafür wertet, daß sich die „Bochumer Fundamentalisten auf dem Weg zu Ajatollahs befinden“.
Schrille Töne sind auch am Mittwoch abend in Dortmund zu hören, wo Höhn gegen den früheren grünen Bundestagsabgeordneten Eckhard Stratmann-Mertes in den Ring steigt. Der Dortmunder Parteisprecher Till Struckberg hält ihr „Wortklauberei“ und „Unehrlichkeit“ vor, weil sie trotz anderer Beschlußlage an dem Regierungsbündnis festhalte. Struckberg wörtlich: „Ich spreche dir die Glaubwürdigkeit ab.“ Diese Schärfe stößt zwar bei vielen im Saal auf Widerspruch, aber in der Sache folgen die Mitglieder ihrem Vorsitzenden. Knapp zwei Drittel stimmen für das Aus. Repräsentativ für das Land sind die Stimmungsbilder aus dem Revier indes nicht. Bis gestern hatten lediglich 6 der 54 Kreisverbände eindeutig gegen die Koalition gestimmt. Von rund 20 weiteren stand die Entscheidung noch aus. Insgesamt scheint sich die Waage eher zur Seite der Koalitionsbefürworter zu neigen.
Es hängt wohl auch von der Tagesform der Matadore beider Lager ab, wer am Ende beim Parteitag in Jüchen siegt. Dabei spielt die juristische Argumentation eine wichtige Rolle. Auch in Dortmund wähnten sich die Versammelten zeitweise in einem juristischen Proseminar. Für die Koalitionsgegner steht fest, daß mit der Genehmigung des Rahmenbetriebsplans die Entscheidung über die Zukunft des Braunkohletagebaus gefallen ist. Beim von Höhn zu verantwortenden Wasserrecht gehe es nur noch darum, wie die Zukunft des Tagebaus konkret aussieht.
Die Umweltministerin Bärbel Höhn bestreitet das. Sie spricht von einem ergebnisoffenen Verfahren, das auch ein Stopp des gesamten Projektes nicht ausschließe. Mit dem Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen, der gerade den Prozeß um das AKW Mülheim-Kärlich gewonnen hat, steht ihr ein Experte von hohem Rang zur Seite. Geulen ermuntert sie, auf der Regierungsbank ihre politischen Hebel zu nutzen. Eine Erfolgsgarantie, das räumt die Umweltministerin ebenso wie ihr Berater ein, „gibt es dabei allerdings nicht“. Im Konfliktfall entscheidet über Garzweiler II womöglich sogar ein Gericht. Daß ihr Kurs zu einem Ansehensverlust der Grünen führen könnte, fürchtet die bekennende „Regierungslinke“ nicht. Glaubwürdigkeit messe sie nicht daran, was die Garzweiler-Befürworter Möllemann (FDP) oder Linssen (CDU) jeden Tag hinausposaunten. „Unsere Glaubwürdigkeit hängt vor allem daran, was die Leute vor Ort sagen.“
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