: Im Reisfeld wartet der Tod
In Laos explodieren noch immer Blindgänger aus dem Vietnamkrieg und töten oder verstümmeln Menschen. Ein Team aus Brandenburg hilft bei der Räumung ■ Aus Xam Nua Ralf Neukirch
Die Bombe traf Bonnliam, als ihre Erinnerung an den Krieg schon zu verblassen begann wie ein altes Photo. Es war im April 1981, sechs Jahre nachdem die letzten US-Amerikaner vom Dach der Botschaft in Saigon geflohen waren und die Kommunisten im Sog des vietnamesischen Sieges auch in Laos die Macht übernommen hatten. Der Morgen war gerade angebrochen, die Sonne verjagte die letzten Schatten der Nacht von den Reisfeldern, als sie mit ihrem Spaten auf die Bombe stieß. Bonnliam hatte schon öfter Blindgänger gefunden, aber keiner war bisher explodiert. Diesmal aber brachte der Hieb den Initialsprengstoff im Zünder zur Detonation. Der Spaten fing die Hauptwucht der Explosion ab, so daß ihr die kleinen Stahlkugeln zwar Wunden in Hals, Schulter, Arme und Beine rissen, sie aber nicht umbrachten. Das 14jährige Mädchen, das neben ihr arbeitete, war dagegen sofort tot.
Noch heute, fast 17 Jahre später, kann Bonnliam unter der Haut im Oberschenkel und am Hals die Kugeln spüren. „Angst, daß mir so etwas noch mal passiert, habe ich nicht“, sagt sie. „Angst habe ich um meine Kinder.“ Die müssen zur Arbeit auf die Reisfelder. Feldarbeit ist in Laos einer der sichersten Wege, sein Leben zu verkürzen. Denn noch immer explodiert im Schnitt jeden zweiten Tag ein Blindgänger und tötet oder verstümmelt einen Menschen.
Es gibt kaum ein Volk, das so gnadenlos bombardiert wurde wie die 4,5 Millionen Einwohner dieses Landes von der Größe Großbritanniens. 2.093.100 Tonnen Bomben warfen US-Piloten in ihrem „geheimen Krieg“ bis 1973 über Laos ab, ein Drittel mehr als die USA im Zweiten Weltkrieg über Deutschland niedergehen ließen. Es war die lange Ostgrenze mit Vietnam, die dem nominell neutralen Laos zum Verhängnis wurde. Als die USA im zweiten Indochinakrieg begannen, sich aktiv an der Seite ihres Satellitenregimes in Südvietnam zu engagieren, bauten nordvietnamesische Truppen den sogenannten Ho-Chi-Minh-Pfad durch das benachbarte Laos zu einem komplexen Netzwerk von Straßen, Tunneln und Feldwegen von insgesamt 20.000 Kilometern Länge aus. Die US-Militärs betrachteten die Unterbrechung dieser Nachschublinien als Schlüssel zum Sieg im Vietnamkrieg.
Im Mai 1964 warfen B-52-Bomber ihre ersten Ladungen über die auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad nach Süden rückenden Vietminh-Truppen ab. Drei Jahre später begann die systematische Bombardierung der Bevölkerung. Die Bomber flogen 580.944 Einsätze über Laos, durchschnittlich 177 am Tag oder eine Ladung Bomben alle acht Minuten – rund um die Uhr, über neun Jahre. 50.000 Zivilisten starben im Bombenhagel; 700.000 Laoten waren am Ende des Krieges auf der Flucht, 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.
„Oft fielen den ganzen Tag lang Bomben“, erzählt Chan Kham, der von Januar 1966 bis zum Ende der Bombardierungen von Xam Nua aus Lebensmittel für Truppen der mit den vietnamesischen Kommunisten verbündeten Pathet-Lao- Bewegung transportierte, zunächst in chinesischen Geländewagen, später in sowjetischen GAS-66- Transportern. „Wir sind immer im Konvoi gefahren. Im Dunkeln hat nur der erste Wagen das Licht angemacht“, erzählt der 52jährige. An manchen Tagen war der Bombenhagel so dicht, daß Chan für die 44 Kilometer lange Strecke einen ganzen Tag benötigte. Noch immer fährt der kleine, drahtige Laote einen Militärjeep durch die Provinz Hua Phan. Er will dabei helfen, die Bomben zu beseitigen, die ihn damals umbringen sollten. Chan ist Kraftfahrer für die Bombenexperten der Firma Gerbera aus dem brandenburgischen Königs Wusterhausen und ihre laotischen Mitarbeiter, die seit Anfang 1997 in diesem unzugänglichen Teil des Landes arbeiten.
Die fünf ehemaligen NVA-Soldaten wohnen im Obergeschoß eines verfallenen Hotels. Vom Balkon aus blickt man über das Dorf Vieng Xai mit seinen versprengten Bambushütten hinweg auf die von bewaldeten Bergen umschlossene Ebene, in der hier und da mächtige Felsen aus dem Boden wachsen, steil und unvermittelt, als seien sie vom Himmel gefallen. Die Region war von strategischer Bedeutung: In den zahlreichen natürlichen Höhlen hielt sich die Führung der kommunistischen Pathet-Lao versteckt. Das von ihnen beherrschte Gebiet war immer auch potentielles Aufmarschgelände für nordvietnamesische Truppen.
Die Parteiführung überlebte den Krieg in den Höhlen, die Bomben töten noch immer. „Im Mai hat eine Hmong-Frau aus einem Dorf in der Nachbaschaft mit einem Hackmesser einen Zünder getroffen. Sie war sofort tot“, erzählt Karsten Bochert. Der 31jährige ist auf der Fahrt zu einem Reisfeld, auf dem ein Bauer am Vortag einen Blindgänger entdeckt hat. Borchert hat Glück, er kann mit seinem japanischen Geländewagen direkt an das Feld heranfahren. In einem Land, in dem die meisten Nationalstraßen holprige Feldwege sind, muß er manchmal mehrere Stunden zu Fuß in der Tropenhitze durch Wald oder Unterholz laufen, den Kopf immer gesenkt, um die Blutegel auf den Schuhen rechtzeitig zu entdecken. Oft sind seine weißen Socken abends trotzdem rot gesprenkelt.
Als Borchert auf dem Feld ankommt, haben seine beiden Mitarbeiter, die wie ihre 68 Kollegen nach einer theoretischen Schulung jetzt von den Deutschen in der Praxis ausgebildet werden, den Sprengsatz bereits vorsichtig freigelegt. Eine tennisballgroße Kugel schimmert metallisch in der Morgensonne. „BLU 26“, sagt Sonxay, der Übersetzer, der in Merseburg drei Jahre lang Elektrotechnik gelernt hat. „Bombies“, werden die kleinen Sprengsätze verniedlichend genannt, doch keine Bombenart hat in Laos mehr Menschen getötet. In den Spritzgußmantel sind etwa 300 Stahlkugeln eingegossen, die bei der Explosion in alle Richtungen schießen und im Umkreis von 10 Metern töten können. Bis zu 640 Bombies fanden in den sogenannten Mutterbehältern Platz, die die US-Piloten aus ihren Bombern ausklinkten. Zwei von fünf Unfällen mit Blindgängern in Laos gehen auf ihr Konto, mehr als die Hälfte endet tödlich. Von den Überlebenden haben zwei Drittel Hand, Arm oder Bein verloren, jeder achte ist gelähmt.
„Über manche Bombies kann man mit einem Traktor fahren, und es passiert nichts. Bei anderen wird der Zünder durch einen Fußtritt ausgelöst“, sagt Borchert. Behutsam legt er zwei 100-Gramm- Blöcke TNT neben die Metallkugel, verdreht mit einer Zange Zündkapsel und Zündschnur und steckt die Kapsel zwischen die Sprengstoffblöcke. Per Megaphon wird die Bevölkerung vor der bevorstehenden Explosion gewarnt. Borchert zündet die Lunte, ein Meter brennt drei Minuten, kurz darauf zerreißt ein Knall die Stille. Das Sprengen der Bomben ist einfacher und ungefährlicher als das Entschärfen. Es verringert für die Laoten zudem die Versuchung, den Sprengstoff aus Zünder und Bombenkörper zu entfernen. Das TNT wird zum Fischen verwendet, um Teiche anzulegen oder in Patronen für Vogelflinten. Jeder vierte Unfall geschieht beim Herumhantieren mit Blindgängern.
„Ich wundere mich, daß nicht noch mehr passiert“, sagt Frank Rudolph, der als Arzt für die medizinische Betreuung der Mitarbeiter zuständig ist. „Es ist schon vorgekommen, daß uns Kinder Bomben zum Entschärfen gebracht haben.“ Zum Teil erklärt sich die Sorglosigkeit der Laoten damit, daß die explosiven Überbleibsel Teil des täglichen Lebens geworden sind. Vor einer Pfahlhütte drängen sich die Schweine an Tränken aus alten Bombenmänteln, und der Besitzer des benachbarten Hauses hat ein paar verbeulte Bombenbehälter zu Blumenkübeln umfunktioniert. Im Lehm spielen Kinder mit alter Munition und Granaten ohne Zünder.
Mindestens ebenso wichtig wie das Sprengen einzelner Blindgänger sind die Flächenräumungen. In That Muang räumt das Team ein Feld, auf dem einmal Maniok, Ananas und Trockenreis angebaut werden soll. Schon von weitem ist das Fiepen der Detektoren zu hören, mit denen die Männer das Gelände absuchen. Bis in 40 Zentimeter Tiefe können die Geräte Metall sicher orten. Rote Fähnchen zeigen an, wo die Suchteams Bomben gefunden haben. Sieben sind es heute. Das Freilegen ist der gefährlichste Teil der mühsamen Arbeit, weil jede Berührung den Zünder auslösen könnte. Für die 5.000 Quadratmeter in That Muang werden die Bombensucher mehr als eine Woche benötigen.
Wie viele Bomben und Minen noch in Laos liegen, vermag niemand genau zu sagen. Die belgisch-französischen Organisation Handicap International schätzt, daß in mehr als einem Viertel aller Dörfer Blindgänger in der Erde ruhen. Ein rundes Drittel davon wird in den Dorfzentren vermutet, ein weiteres Drittel auf den Feldern – eine Katastrophe in einem Land, das von der Landwirtschaft abhängig ist. Die Bomben töten und verstümmeln nicht nur, sie haben noch eine andere, subtilere Wirkung auf das Leben der Menschen: Sie rufen ein schleichendes Gefühl der Furcht hervor. „Die Hinterlassenschaften des Kriegs erzeugen ein Klima, das alle Aktivitäten für Wachstum und Entwicklung gefährdet“, heißt es in einem Bericht der britischen Mine Advisory Group, die in der Provinz Xieng Khouang nach Blindgängern sucht. „Alle Planungen für die Zukunft werden dadurch in Frage gestellt. Hierin liegt der Kern des Problems der Armut in Laos.“
In der Tat ist die Angst oft größer als der Hunger. Die 18jährige Von wohnt in Xepon im südlichen Laos. Das kleine Reisfeld der Familie liegt direkt am ehemaligen Ho-Chi-Minh-Pfad. In dem einst waldreichen Gebiet stehen einige Bäume als Überlebende des Agent-Orange-Regens verlegen in kleinen Gruppen herum, wie Gäste auf einer Cocktailparty, die nicht in Schwung kommt. In mit Regenwasser gefüllten Bombenkratern spiegelt sich die Abendsonne. „Früher hat mein Vater die Bomben, die er im Feld gefunden hat, einfach weggeworfen“, sagt Von. Seitdem er dabei vor ein paar Jahren fast zum Einarmigen geworden wäre, läßt er sie liegen. Ein Teil des Feldes liegt seither brach, der Rest bringt zusammen mit den Hühnern, der Kuh und den Büffeln kaum genug ein, um die fünf Kinder zu ernähren. Erst seit auch in Xepon Bombenteams mit ihrer Arbeit begonnen haben, gibt es für die Familie wieder eine Hoffnung, dem Hunger zu entrinnen.
In der Provinz Hua Phan haben die deutschen Experten und ihre Mitarbeiter in der ersten Jahreshälfte 1997 53 Hektar Fläche von Bomben geräumt, die Briten weitere 24 Hektar im ganzen Land. Wann die Bewohner wieder ohne Furcht auf ihren Feldern oder in den Wäldern arbeiten können, weiß niemand. In diesem Jahr will das Auswärtige Amt das deutsche Projekt noch finanzieren, dann werden die Laoten die Bombensuche wohl allein fortsetzen – vorausgesetzt, die internationale Gemeinschaft bezahlt. Die Amerikaner haben sich ihren Luftkrieg über Laos seinerzeit rund 7,2 Milliarden Dollar kosten lassen – das sind zwei Millionen Dollar jeden Tag, über neun lange Jahre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen