: Kann es Rauch ohne Feuer geben?
Nukem bestreitet, daß es 1987 eine Explosion gab, kann aber gemessene Strahlenwerte nicht erklären ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) – Was ist nun bei Nukem im Januar 1987 wirklich passiert? War es eine Explosion, wie das Gutachten der Physiker von der ARGE PhAM nahelegt? Oder gab es keine Explosion, wie Nukem behauptet? Daß es im Januar 1987 zur Freisetzung von Radioaktivität kam – unter anderem Plutonium 239 –, gibt auch Nukem zu. Wie es dazu kam, kann Nukem nicht sagen.
Bei rund 300 Personen seien im Januar 1987 „spontan Dosimeterkontaminationen“ aufgetreten, heißt es in dem der taz vorliegenden Bericht der Gutachtergruppe ARGE PhAM vom März 1998. Er wurde im Auftrag der Staatsanwaltschaft Hanau erstellt. Diese „spontanen Dosimeterkontaminationen“ wurden nicht von den Wissenschaftlern der ARGE PhAM ermittelt, sondern von der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF), einer überwiegend bundesfinanzierten Großforschungsanstalt.
Bei der GSF wurden seinerzeit die Dosimeter der MitarbeiterInnen der Nukem ausgewertet. Doch wie es zu den Verstrahlungen kam, ist Nukem-Geschäftsführer Erwin Wehner „unerklärlich“, wie er am Mittwoch einräumte. Sicher ist er sich nur mit einem: Den von den Gutachtern der ARGE PhAM behaupteten „Explosionsunfall“ am 20. Januar 1987 habe es „nicht gegeben“. Nukem stellt die Physik auf den Kopf: verstrahlte MitarbeiterInnen, aber kein „Ereignis“. Gibt es auch Rauch ohne Feuer?
Nukem wurde jetzt selbst beim hessischen Generalstaatsanwalt vorstellig und erstattete Strafanzeige „gegen die Personen, welche für die Veröffentlichung der wahrheitswidrigen Informationen verantwortlich sind“.
Die Wissenschaftler der ARGE PhAM stehen dagegen zu ihren Gutachten. Eberhard Pitt von der Universität Gießen erklärte gegenüber der taz, daß der Bericht vom März 1998 an die Staatsanwaltschaft zwar „noch nicht die endgültige Fassung“ gewesen sei. Das „Explosionsereignis“ wird von ARGE PhAM aber bereits in dem 1997 bei der Staatsanwaltschaft eingereichten Gutachten beschrieben. Darüber hatte die ARD am vergangenen Freitag berichtet: „Eine Explosion sprengt das Dach weg, eine Ziegelwand bricht ein, nuklearer Abfall wird durch die Gegend geschleudert, Telefone verschmoren“ (O-Ton ARD).
In dem Bericht von ARGE PhAM von 1997 heißt es dazu weiter: „Der Unfall ist der Bevölkerung nicht bekanntgemacht worden. Es wurde statt dessen für den 27. Februar 1987 ein milder Kontaminationsunfall ... gemeldet.“ Da seien 75 Personen kontaminiert worden, erklärt Nukem.
Zum Beweis dafür, daß es das Explosionsereignis „nie gegeben“ habe, beruft sich Nukem auf einen von Nukem beauftragten Sachverständigen für Tragwerksplanung. Der Experte habe festgestellt, daß die Baustruktur dem ursprünglichen Zustand bis ins letzte Detail entspreche: „Es sind keine Explosionsschäden erkennbar.“
In dieser Erklärung berichtet Nukem auch von einem „Arbeitsunfall“ am 20. Januar 1987. Ein Beschäftigter habe am Schraubstock eine „Platzwunde am Daumen“ erlitten. Der Arbeiter gab dazu am Dienstag eine eidesstattliche Erklärung ab: „Von einer Explosion, die an dem erwähnten Tag auf dem Firmengelände stattgefunden haben soll, ist mir nichts bekannt.“
Diese „Gegendarstellungen“ der Nukem in Kombination mit „Erklärungen hinter vorgehaltener Hand“ aus Wiesbaden, so die Süddeutsche Zeitung, wonach auch dort Zweifel an der These vom Unfall geäußert worden seien, reichten aus, um in dieser Woche die Aufmerksamkeit von Nukem auf die ARGE PhAM umzulenken. Auch weil „Regierungskreise“, so die Frankfurter Rundschau, den Verdacht geäußert hätten, daß die von den Gutachtern der ARGE PhAM festgestellten „Ungereimtheiten in der Nukem-Strahlenkartei“ vielleicht auf ganz andere Ursachen als auf einen Unfall zurückzuführen seien.
Aber auf welche? Auch die Staatsanwaltschaft äußerte sich gestern plötzlich zurückhaltend, nachdem der ermittelnde Staatsanwalt Thomas Geschwinde noch in der vergangenen Woche in dem ARD-Beitrag erklärt hatte, daß der Staatsanwaltschaft zahlreiche weitere Indizien in die Hände gefallen seien, „die die These von der Vertuschung des Unfalls stützen“ (O-Ton ARD).
Vorgestern veröffentlichte die Staatsanwaltschaft dagegen eine Erklärung: „Nach gegenwärtigen Erkenntnissen“ gebe es keine Anhaltspunkte dafür, „daß sich ein Explosionsunfall, wie er in diesen Tagen in den Medien geschildert wurde“, gegeben hätte.
Auch aus dem grün geführten Umweltministerium in Wiesbaden heraus wurden Zweifel an der Seriosität der ARGE PhAM geäußert. Dabei hatte das Ministerium unter Umweltminister Fischer bei ARGE PhAM zwei Gutachten zum Verdacht auf illegalen Umgang mit Kernbrennstoffen bei Nukem bestellt. Nachdem Nukem Zweifel an deren Meßmethoden geäußert hatte, war ARGE PhAM plötzlich aus dem Geschäft. Heute streiten sich ARGE PhAM und das Ministerium um angeblich noch ausstehende Gelder. Der Vorwurf von ARGE PhAM: „Die Aufsichtsbehörde versucht die Aufklärung des Unfalls zu verhindern.“ Kommentar Seite 12
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