: Merkels Beamte wissen seit Jahren von Castor-Flecken
■ Seit langem erfuhren Beamte des Umweltministeriums in einer EU-Arbeitsgruppe von Überschreitungen der Strahlengrenzwerte bei Atommülltransporten. Um Abhilfe kümmerte sich niemand
Berlin (taz) – Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) hat sich am 25. Mai dafür verbürgt: Die Mitarbeiter ihres Ministeriums und aller zuständigen Bundesämter hätten von den radioaktiven Flecken oder Grenzwertüberschreitungen an Atommüllbehältern deutscher und französischer Atomtransporte nichts gewußt. Das Gegenteil ist der Fall, wie eine Recherche der taz ergab. Eine Arbeitsgruppe der EU- Kommission tüftelt seit sechzehn Jahren an dem Problem. Vertreten ist darin auch das Bundesumweltministerium.
Die „Ständige Arbeitsgruppe für den sicheren Transport radioaktiver Stoffe in der Europäischen Union“ hat, wie die internationale Atombehörde IAEO bestätigt, zuletzt in den Jahren 1994 und 1995 über die Grenzwertüberschreitungen bei den Transporten beraten. Man habe dabei erkannt, daß dieses „Problem niemals vollständig gelöst werden kann“, so der IAEO-Vertreter.
In dieser „Ständigen Arbeitsgruppe“ sitzen hohe Beamte von Merkels Ministerium wie der Leiter der Abteilung Nukleartransporte, Ulrich Alter. Auch Wilhelm Collin vom Bundesamt für Strahlenschutz, Dr. Lange von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, Klaus Ridder vom Bundesministerium für Verkehr sowie Bernhard Droste vom Bundesamt für Materialforschung sind nach Angaben der EU-Abgeordneten Undine von Blottnitz dabei. Insgesamt nehmen 25 Vertreter aller europäischen Atombehörden an den mehrmals jährlich stattfindenden Sitzungen teil. Mitglieder des Gremiums erklärten eindeutig, daß auch die deutschen Vertreter die Grenzwertüberschreitungen kannten.
Und warum hat niemand reagiert? Wiederum gibt ein Mitglied der „Ständigen Gruppe“ eine klare Antwort: „Allen war das Problem bekannt. Sie gingen allerdings trotz der Überschreitung der Grenzwerte davon aus, daß keine Gefährdung gegeben ist, und so hat man das dann vernachlässigt. Man hätte das viel früher öffentlich machen und sich technisch um Abhilfe bemühen können.“ Diese Aussage deckt sich mit der Äußerung eines Beamten der EU-Kommission, niemand in der Arbeitsgruppe sei von den Veröffentlichungen aus Frankreich, die den Skandal ausgelöst hatten, überrascht gewesen.
Widersprüchlich erscheint der Informationsfluß zwischen Behörden und Atomindustrie: Im jüngsten Bericht der Arbeitsgruppe vom November 1997 heißt es: „So wurden z.B. die Transportvorkommnisse in den Mitgliedsstaaten über einen Zeitraum von 10 Jahren untersucht und analysiert. Fazit dieser Untersuchung war, daß die meisten Daten zu Vorkommnissen von der Atomindustrie gemeldet werden und daß keines der Vorkommnisse zu größeren gesundheitlichen Schäden geführt hatte.“
War die Industrie doch nicht so verschwiegen, wie die deutschen Behörden behaupten, oder hat sie nur belanglose Informationen weitergegeben? Eins steht jedenfalls fest: Das Umweltministerium kannte das Problem, tat aber nichts.
Peter Sennekamp Bericht Seite 8
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen