■ Innere Sicherheit: Rot-Grün fehlt der Mut zu liberalen Reformen: Noch nicht?
Schon klar – man soll Erfolge nicht kleinreden, nicht den historischen Umschwung verkennen, den der Kompromiß zum Staatsbürgerrecht bei den rot- grünen Koalitionsverhandlungen gebracht hat. Reformvorhaben wie dieses, das lehrt ein Seitenblick auf die Geschichte, können nur in mehreren Schüben verwirklicht werden. Wenn dennoch Freude & Genugtuung sich jetzt so schwer einstellen, liegt das an dem blamablen, an den wahrhaft trostlosen Ergebnissen der Verhandlungen zum restlichen Komplex „Innere Sicherheit“.
Zu diesem Urteil kommt zwangsläufig jede LeserIn, die vergleicht, was die Bündnisgrünen im „Bürgerrechte, Demokratie und öffentliche Sicherheit“ übertitelten Abschnitt ihrer Wahlplattform forderten und was sie schließlich in der bislang bekannten Koalitionsabsprache erreichten. Nochmals die Alltagsweisheit eingeräumt, nach der der Hund mit dem Schwanz wedelt und nicht umgekehrt. Und nachmals zugestanden, daß es trotz der so verdienstvollen Arbeit der Bürgerrechtsorganisationen in Deutschland eigentlich kein gesellschaftliches Klima gibt, das der Verteidigung, geschweige denn dem Ausbau der Grundrechte förderlich wäre. Auch im linksalternativen und grünen Milieu vagieren zwar viele Radikaldemokraten, aber wenig Radikalliberale. Und dennoch: Mußte wirklich alles beim alten bleiben, konnte aus den Sozialdemokraten nicht wenigsten ein Quentchen mehr demokratischer Wagnis herausgepreßt werden?
Wie geraten förmlich in Atemnot, wollten wir die Territorien rechtsstaatlicher Ödnis aufzählen, die rot- grüner Veränderungswille unbeackert ließ. Begnügen wir uns mit vier Punkten.
1. Zur Verbesserung des Asylrechts, wenigstens zu seiner rechtsstaatskonformen Anwendung kein Luftzug, außer der minimalen Erweiterung der Asylgründe. Wenigstens eine Regelung der „Härtefälle“, also der schon jahrelang in Deutschland lebenden Asylsuchenden, z.B. nach dem Vorbild der französischen Behandlung der „Sans Papiers“? Nichts da.
2. Schweigen wir vom Großen Lauschangriff, den zu beseitigen mit der SPD von vorneherein aussichtslos war. Reden wir lieber von der vollständigen Abstinenz selbst zu demokratischen Minimalkorrekturen, was Kompetenzen und demokratische Kontrolle der Bundespolizeien und der Geheimdienste anlangt. Kein vernünftiger Mensch verlangt das eigentlich Selbstverständliche: den Einstieg zum Ausstieg aus dem Geheimdienstbusiness. Aber Trennung der Aufgaben und Rückführung der Befugnisse hätten unbedingt avisiert werden müssen.
3. Jeder Anlauf zu einem „freedom of information act“, zur Akteneinsicht ins Gebaren der öffentlichen Verwaltung, wurde ebenso unterlassen wie eine demokratische Kontrolle der privaten wie staatlichen Informationsgebirge.
4. Wie soll konkret die Prävention aussehen, auf die sich insbesondere bei der Kinder- und Jugendkriminalität die Koalitionspartner einigten? Keine Rede von der Entkriminalisierung der Bagatelldelikte, beim „Täter-Opfer-Ausgleich“, der unisono auch von SPD-orientierten Juristen gefordert wird. Nur ein paar Zentimeter Raum für die Freigabe „weicher Drogen“. Man will dort ein paar „Experimente“ riskieren, wo die akkumulierte Erfahrung längst ausreicht für flächendeckende Regelungen. Otto Schily hat die Generallinie seiner Partei zu dem ganzen Komplex in dem Satz zusammengefaßt: „Entbürokratisierung, nicht Entkriminalisierung“. Ein zweideutiges Bekenntnis, denn es läßt sich mühelos auch als Rationalisierungsmaßnahme lesen. Und die verträgt sich bekanntlich bestens mit verfassungsrechtlichen Defiziten.
Und so endlos weiter.
Wer noch erlebt hat, wie die Schmidt-Regierung zu Zeiten der RAF mit Grundrechten herumfuhrwerkte, der weiß: Sozialdemokraten lieben den perfekten, zentralisierten Sicherheitsstaat. Diese unselige, weit zurückreichende Fixierung potenziert sich gegenwärtig noch mit der Angst vor vermeintlichen wie wirklichen Stimmungen im Volk. Gegen dieses Gebräu fanden die Bündnisgrünen kein Mittel. Noch nicht? Christian Semler
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