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Kanonenboot bleibt, Kunsthistoriker kommt

■ Zehlendorfer CDU schießt mit konservativem Ordinarius gegen Studentenführer Dutschke

Die Freie Universität (FU) hatte auf ein Kanonenboot geschossen, doch am Ende musste ein Kiebitz daran glauben. Gestern hat der Bezirksbürgermeister von Zehlendorf, Klaus Eichstädt (CDU), den nach einem Vogel aus der Familie der Regenpfeifer benannten Kiebitzweg offiziell in Otto-Simson-Straße umgetauft. Mit dem 1993 verstorbenen Kunsthistoriker, der während der NS-Zeit emigrieren musste und später die 68er bekämpfte, trägt erstmals eine Straße auf dem Campus einen Namen aus der 50-jährigen FU-Geschichte.

An den Wünschen der Uni gemessen, nimmt sich die Straßentaufe bescheiden aus. Vor anderthalb Jahren hatte der damalige Uni-Präsident eine ganze Liste von Vorschlägen an den Bezirk geschickt, die Abteilungsleiter Traugott Klose erarbeitet hatte. Klose hatte es vor allem auf Iltis-, Lans- und Takustraße abgesehen, drei Relikte deutscher Kolonialherrlichkeit: Das Kanonenboot „Iltis“ hatte unter seinem Kommandanten Lans im Verlauf des „Boxeraufstands“ die chinesische Festung Taku beschossen. Als neue Namenspatrone wünschte sich die FU neben ihrem Gründungsrektor Friedrich Meinecke und dem Physiker James Franck auch den Studentenführer Rudi Dutschke.

An Dutschke freilich fanden die Zehlendorfer Bezirksverordneten, mehrheitlich mit CDU-Parteibuch ausgestattet, keinen Gefallen. Die FU schritt folglich selbst zur Tat – und weihte im Frühjahr auf eigenem Terrain einen Rudi-Dutschke-Weg ein. Das brachte die CDU im Bezirk offenbar auf Trab. Aus dem Kiebitz-„Weg“ wurde gleich eine Simson-„Straße“, um den Studentenführer auch verbal zu übertrumpfen. Wie praktisch, dass ein zweiter Kiebitzweg in einer Kleingartenkolonie zwischen Heinersdorf und Blankenburg den Vorwand für die Umebenennung hergab.

Die Kollision von Simson und Dutschke vor der meistbesuchten FU-Mensa ist nicht ohne Pikanterie: Simson zählte zu den erbittertsten Gegnern der Studentenrevolte, die er im „Bund Freiheit der Wissenschaft“ und der Notgemeinschaft Freie Universität (NoFU) bekämpfte. Trotzdem dürfte die Wahl wenig Kritik auf sich ziehen. Schließlich musste der jüdische Gelehrte 1936 in die USA emigrieren, und auch fachlich ist der Autor eines Standardwerks über die gotischen Kathedralen und langjährige Präsident der deutschen Unesco-Kommission über jeden Zweifel erhaben.

Immerhin wohnte FU-Präsident Peter Gaehtgens, anders als bei der Dutschke-Ehrung, diesmal persönlich der Enthüllung des Straßenschilds bei. Das Zusammentreffen von Dutschke und Simson, sagte Gaehtgens, spreche „für die Diskussionskultur an der FU“. Ralph Bollmann

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