: Euro unter Psychoschwelle gerutscht
■ Wim Duisenberg, Chef der Europäischen Zentralbank, sieht in deutscher Wirtschaft und Politik Gründe des Euro-Verfalls
Nach Einführung des Euro am 4. Januar sprachen alle von einem Traumstart. Der Eröffnungskurs von 1,1747 US-Dollar wurde auf den Devisenmärkten positiv aufgenommen, der Euro legte sogar leicht zu. Dass der Euro auch nur in die Nähe einer Parität zum US-Dollar geraten könnte, schlossen die meisten Analysten aus – ein Trugschluss, wie sich in der Nacht zum Freitag herausstellte.
Für den Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Wim Duisenberg, ist der Hauptschuldige dieser Entwicklung klar auszumachen. War ehedem die offene Einmischung Lafontaines in die Belange der europäischen Zentralbank der Hauptkritikpunkt Duisenbergs, so scheint nun Schröder aus seiner Sicht zum gefährlichsten Mann für den Euro zu avancieren. Duisenberg kritisierte Schröders Interventionismus realer und verbaler Art in den Fällen Holzmann und Mannesmann gegenüber dem Wall Street Journal Europe. Die deutsche Wirtschaft sei langsam und zurückgeblieben, dies würde durch die Entwicklung bei den beiden Industriekonzernen nachhaltig unterstrichen.
Dass politische Intervention nicht zwangsläufig zu einem fallenden Wechselkurs führen muss, illustriert hingegen Japan. Ein Konjunkturprogramm jagt das andere, um die langjährige Rezession zu überwinden. Und trotz dieser massiven Eingriffe in die Wirtschaft hat der Yen gegenüber dem Euro seit Jahresbeginn noch stärker zugelegt als der US-Dollar.
Für die Euro-Schwäche gegenüber dem Dollar liegen einige Gründe auf der Hand. Die Konjunktur in den USA läuft seit Jahren auf Hochtouren und spricht gängigen Konjunkturzyklen Hohn. Noch kein baldiges Ende des längsten Aufschwungs in der Nachkriegsgeschichte der USA in Sicht, noch immer werden die Wachstumsaussichten in den USA positiver beurteilt als die in der Euro-Zone. Dazu liegt das Zinsniveau in den USA über dem der Euro-Zone, weshalb institutionelle Anleger häufig den US-Markt bevorzugen. Daran dürfte sich kurzfristig auch nichts ändern, wenn sich die für Freitag erwarteten US-Arbeitsmarktdaten bestätigen sollten. Nach einer Reuters-Umfrage gehen Volkswirte von einem Anstieg der Beschäftigtenzahl von 226.000 aus, ausschließlich der Landwirtschaft. Die Konjunktur zieht also weiter an, wenn auch leicht schwächer als in den Vormonaten. Keine Frage, dass positive Arbeitsmarktdaten die Spekulationen um eine etwaige Zinserhöhung seitens des US-amerikanischen Notenbankchefs Alan Greenspan weiter anheizen werden. Der Euro käme in diesem Falle noch stärker unter Druck.
Und trotzdem bleiben die meisten Analysten bei ihrer Grundaussage, dass der Euro mittelfristig wieder ansteigen werde, denn der US-Aufschwung könne ja nicht ewig dauern; der Aufschwung in der Euro-Zone nicht ewig ausbleiben. Das allerdings sagen sie schon seit Einführung des Euro.
Martin Ling, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen