: Völkermordtribunal für Ruanda blockiert
Aus formalen Gründen entließen die Richter in Den Haag einen der bekanntesten Hutu-Extremisten. Deshalb verweigert jetzt die Regierung in Kigali den Ermittlern vor Ort die Zusammenarbeit ■ Aus Arusha Peter Böhm
Obwohl die Liste von Misswirtschaft, Pannen und der langen Verzögerung der Verfahren bereits lang ist, steckt das Internationale Völkermordtribunal für Ruanda derzeit in seiner schwersten Krise. Seit die Berufungskammer des Gerichts in Den Haag Anfang November entschied, dass die Anklage gegen einen der bekanntesten Hutu-Extremisten des ruandischen Völkermordes von 1994 fallen gelassen und er zurück nach Kamerun ausgeliefert werden muss, ist die Arbeit des Gerichtes lahm gelegt. Ruanda hat kein Auslieferungsabkommen mit Kamerun, wo Jean-Bosco Barayagwiza im März 1997 festgenommen und anschließend an das UN-Tribunal übergeben worden war. Deshalb besteht jetzt die ernsthafte Gefahr, dass der Chefideologe der Extremistenpartei CDR straflos ausgehen wird.
Ruanda hat wegen dieses Eklats die Zusammenarbeit mit dem Tribunal suspendiert. „Unsere Arbeit ist dadurch sehr schwierig geworden, wenn nicht völlig blockiert“, sagt der Chef der Internationalen Anklagebehörde in Kigali, Bernard Munard. Da die ruandische Regierung keine Sicherheitsgarantien mehr gebe, und Sicherheitskräfte seine in Ruanda tätigen Ermittler nicht mehr bei ihrer Arbeit im Umland begleiteten, könnten diese nicht mehr das Büro verlassen.
„Unsere Zeugen bekommen keine Ausreisegenehmigung mehr“, berichtet Muna weiter. „Wir können sie deshalb nicht bei Prozessen vorführen.“ Außerdem sei „die soziale Situation der Mitarbeiter sehr angespannt“, weil die ruandischen Behörden ihren Angehörigen, die über den Jahreswechsel zu Besuch kommen wollten, die Visa verweigerten.
Auch Carla Del Ponte, ehemalige Schweizer Generalstaatsanwältin und seit zwei Monaten Chefanklägerin des Tribunals für Ex-Jugoslawien und Ruanda, hat die Regierung in Kigali zwei Wochen lang die Einreise verweigert. Am Samstag traf die Schweizer Juristin dann doch in Kigali ein. Überraschend hatten ihr die ruandischen Behörden am Freitag doch noch ein Visum erteilt. „Ich glaube, dass die Angelegenheit höchste Priorität besitzt und habe deshalb alle meine Verabredungen in Den Haag abgesagt“, hatte sie letzte Woche bei einem Besuch in Arusha erklärt. Sie sei jedoch hoffnungsvoll, dass es bald zu einer einvernehmlichen Lösung mit Ruanda komme.
Zwar haben die Ankläger bei der Berufungskammer eine Frist bis zum vergangenen Donnerstag erreicht, um der Kammer neue Gesichtspunkte im Fall Barayagwiza vorzulegen. Aber es ist schwer zu sehen, wie sie damit Erfolg haben wollen. Denn die Kammer begründete ihre Entscheidung zur Freilassung Barayagwizas formal damit, dass die Ankläger verschiedene Fristen versäumt hätten, wie etwa den Angeklagten einem Richter vorzuführen und ihm zu eröffnen, was ihm vorgeworfen wird.
Schlimmer noch: Im Fall von Laurent Semanza, des ehemaligen Verwaltungschefs des Kreises Bicumbi, droht ein ähnlicher Eklat, weil die Abfolge des Verfahrens gegen ihn genau parallel zu jenem Barayagwizas verlief. Semanzas Anwalt hat deshalb im September bei der Berufungskammer Beschwerde eingelegt, und sein für Anfang November geplanter Prozess musste deshalb verschoben werden.
Der Fall Barayagwiza hat eine allgemeine Malaise der UN-Anklagebehörde bloßgelegt. Überall sind Unorganisiertheit und die Not zum Improvisieren zu sehen. Mehr als fünf Jahre nach der Gründung des Tribunals läuft im Augenblick in Arusha gerade einmal ein Prozess. Und dann hat die Anklage auch noch entgegen den Statutenzum Prozessbeginn gegen Ignace Bagilishema, eines ehemaligen Kreischefs in der westruandischen Kibuye-Präfektur, mehr als 20 neue Zeugen benannt. Eigentlich gilt die Regelung, dass die Zeugen vor Anfang des Verfahrens bekannt gegeben werden müssen, um der Verteidigung die Möglichkeit zu geben, sich auf sie vorzubereiten.
Fünf Urteile hat das Ruandatribunal bisher gefällt, heute wird das sechste erwartet – gegen den ehemaligen Vizechef der Hutu-Miliz „Interahamwe“, Georges Rutaganda. Außer dem Urteil gegen den ehemaligen Premierminister Jean Kambanda, der sich für schuldig erklärt und mit dem Gericht kooperiert hatte, beziehen sich die Urteile alle auf Ausführende der regionalen und der lokalen Ebene. Gegen die „Großen Fische“ hat bisher noch kein Prozess begonnen.
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