: Eine bösartige Wut
Post aus New York: Es gibt eine „Israel-Lobby“ in den USA, der viele fundamentalistische Christen angehören. Die Mehrheit der amerikanischen Juden sieht Israels Politik kritisch
Am 19. Januar stand beim New York Institute for the Humanities (NYIH) ein Vortrag des Historikers Tony Judt auf dem Programm. Darin kritisierte er erneut die „Israel-Lobby“ in den USA, ihre Likud-freundliche Haltung – und die Einschüchterungstaktik, mit der sie Andersdenkende mundtot macht. Judt, ein in Großbritannien geborener Jude, der heute an der New York University (NYU) arbeitet, favorisiert eine Einstaatenlösung für Israel-Palästina und ist ins Zentrum der jüngsten Kontroverse geraten, weil jene Einschüchterungstaktik verhinderte, dass er einen Vortrag zur Israel-Lobby halten konnte.
Kurz bevor er im Oktober 2006 in New York auftreten konnte, rief die „Antidiffamierungsliga“ (ADL) den Veranstalter an und klärte ihn über Judts Ansichten auf. Der Vortrag wurde umgehend abgesagt. Das allerdings sorgte erst für die aufgeregte Debatte in den Medien, die Judt ein viel lauteres Megafon in die Hand gab, als er sonst gehabt hätte.
Die Angelegenheit wäre sicherlich nur ein Thema für die Klatschspalten, wenn es dabei nicht um die globale Bedeutung des Konflikts zwischen Israel und Palästina ginge und damit um eine möglichst differenzierte Diskussion über dessen Lösung. Außerdem sind „Israel“ und „die Juden“ heute wieder Themen geworden, an denen sich die Welt mit Leidenschaft abarbeitet. Weshalb ist der Israel-Palästina-Konflikt von „globaler“ Bedeutung? Dort gibt es doch kein Öl, und internationale Terroristen sind nur selten palästinensischer Herkunft. Ebendiese Themen beleuchtet Judt in seiner eleganten Abhandlung nicht ausreichend.
Judt unterscheidet zwischen der „jüdischen Lobby“ und der Israel-Lobby, zu der auch viele evangelikale Christen gehören, die die Siedlungen in Westjordanland gutheißen, was einige wichtige jüdische Organisationen nicht tun. Er beschreibt die wenig bemerkenswerte Arbeit von Lobbys und kritisiert die Mechanismen des Schweigens als ein amerikanisches Problem, da in anderen Ländern durchaus Kritik an Israel geübt werde. Allerdings ist, wie die Publizistin Katha Pollitt am NYIH feststellte, Kritik an der israelischen Territorialpolitik in den USA und Israel durchaus weit verbreitet, nur nicht in der „Israel-Lobby.“
Judt würde überzeugender wirken, wenn er die Kritik von jüdischer Seite anerkennen würde: 2004 stimmten 80 Prozent der Juden gegen Bush, und 75 Prozent sind für einen palästinensischen Staat. Judt klagt über die Macht der Israel-Lobby, doch indem er andere Meinungen ins Abseits drängt, trägt er unabsichtlich dazu bei, dass diese nicht zur Kenntnis genommen werden.
Judts stärkstes Argument hängt mit der Schoah zusammen. In dem Maße, in dem der Holocaust immer wieder als Rechtfertigung für die besetzten Territorien herhalten muss und genutzt wird, um unter den amerikanischen Juden Antisemitismusängste zu schüren, und in dem Maße, in dem alle Bedrohungen für Israel (etwa durch den Iran) als ebenso existenziell eingestuft werden, wie es der Holocaust war, verliert der Mord an den europäischen Juden an Bedeutung.
Richtig ist: Man sollte über Iran als eigenständiges Thema diskutieren und nicht irgendeine Analogie zu Hitler herstellen. Und wenn man die Schoah in einem Atemzug mit Israels Territorialpolitik nennt, nährt man bei jungen Menschen in der ganzen Welt möglicherweise den Verdacht, dass die Verbrechen der Nazis bloß Propaganda der Israelis oder der Amerikaner seien. Dies, meint Judt, sei zutiefst beängstigend, denn so werde die Geschichte ausgelöscht und der Antisemitismus angeheizt. Die israelische Politik ist nach Judts Ansicht schlecht für die Juden.
Doch: Der größte Schwachpunkt in Judts Argumentation hängt ebenso mit dem Holocaust zusammen. Er mag damit recht haben, dass Israel mit seiner Politik den Antisemitismus anheizt, doch er erwähnt mit keiner Silbe, warum gerade der Holocaust für die Juden so hervorstechend und so geeignet ist, als Rechtfertigung für die Territorien herangezogen zu werden. Der niederländische Autor Ian Buruma, der ebenfalls Wissenschaftler am NYIH ist, hat darauf hingewiesen, dass die Wut, von der die Kritik an Israel begleitet ist, weitaus bösartiger ist als bei anderer politischer Kritik.
Der schmähende Ton, in dem Israel kritisiert wird, weist auf den darunterliegenden Antisemitismus – und zwar nicht einen neuen, von Israel hervorgerufenen Antisemitismus. In Europa gehen nicht Hunderttausende auf die Straße, um gegen die Russen in Tschetschenien zu protestieren oder um zu schreien, dass die Regierung im Sudan nazistisch sei. Die israelische dagegen wird gerne schon mal so genannt. Judt entgegnet darauf, dass Israel – nicht aber der Sudan – an demokratischen Maßstäben gemessen werden muss. Aber es kann doch sicherlich nicht so sein, dass es moralisch eher vertretbar ist, wenn nichtdemokratische Regierungen ihre Leute massakrieren, als wenn es sich um demokratische Regierungen handelt. Und, was ganz wichtig ist: Judt geht überhaupt nicht auf das Ausmaß der Wut ein.
Dass man von der Kritik an der Politik Israels in Antisemitismus abgleitet, kann ganz schnell passieren. Und man erreicht viel damit. So kann man damit die Schuld der Europäer am Holocaust abmildern, denn immerhin sind die Juden ja auch böse. Zudem hat man ein gutes Gefühl, weil man doch für die benachteiligen Palästinenser ist.
Judt sagt, dass er dies in Europa durchaus anspreche, wo es notwendig sei, aber für die Juden in Amerika sei es wichtiger, etwas über die Einschüchterungsdebatte zu hören. Sie lebten in Wohlstand und Sicherheit und brauchten nicht so große Angst vor Vernichtung zu haben, dass sie Kritik an Israel unterdrücken müssten. Damit gleitet Judt jedoch genauso ab, nämlich von der Kritik an der multikonfessionellen „Israel-Lobby“ in die Kritik an den amerikanischen Juden. Doch: Das Ausmaß, in dem sich einige amerikanische Juden von der Existenzangst entfernen, liegt eben an der Wut, auf die Judt nicht eingeht – und an der langen Negativliste des Antisemitismus. Die Leute aufzufordern, sie sollten doch über die Geschichte „hinwegkommen“, ist für einen Historiker schon eine äußerst seltsame Aussage.
Zudem ist sie für Judts Anliegen nicht notwendig. Schließlich unterstützen fortschrittliche 75 Prozent der amerikanischen Juden einen palästinensischen Staat, obwohl sie Angst vor Antisemitismus haben. Und Einschüchterungstaktiken verabscheuen sie ohnehin – wohl weil sie die an Hitlers Methoden im Umgang mit der Presse erinnern.
Schließlich ist noch zu erwähnen, dass die Israel-Lobby stark evangelikal geprägt ist: Evangelikale stellen 30 bis 40 Prozent der amerikanischen Bevölkerung, Juden nur 2,4 Prozent. Wenn die Evangelikalen für die israelische Territorialpolitik eintreten, so steht dahinter nicht Angst. Vielleicht wäre es interessant für Judt, sie anzusprechen, wenn er eine differenziertere Debatte erreichen will. MARCIA PALLY
Übersetzung: Beate Staib
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