piwik no script img

„Recht, nicht Rache“

INTERVIEW STEFAN REINECKE

taz: Herr Kraushaar, die CSU meint, dass es nur für RAF-Häftlinge, die bereuen, Bewährung oder Gnade geben darf. Ist das richtig?

Wolfgang Kraushaar: Auf keinen Fall. Dies wäre eine unzulässige Vermischung von einer moralisch-politischen Haltung mit einem rechtlichen Verfahren. Denn bei Brigitte Mohnhaupt geht es um eine Freilassung auf Bewährung. Das ist eine Rechtsfrage, bei der Reue keine Rolle spielen darf.

Trotzdem soll, so CSU und „Bild“, Mohnhaupt länger als 25 Jahre im Knast bleiben. Das zeigt, dass ein Teil der Gesellschaft noch immer rachsüchtig ist …

Die CSU neigt ja zum Populismus. Vielleicht hat sie es im Moment auch besonders nötig, mit so etwas zu punkten. Außerdem schließt sie damit wieder einmal an die Law-and-order-Tradition von Franz Josef Strauß in den 70er Jahren an.

Von keinem Mörder, der 25 Jahre im Knast gesessen hat und heute ungefährlich ist, wird Reue verlangt, bevor er freikommt. Das gilt nur für RAF-Täter. Darin zeigt sich ein Widerspruch, den es schon in den 70er Jahren im Stammheim-Prozess gab: Die RAF-Täter sollten einerseits ganz normale Kriminelle sein, andererseits wurden sie aber nicht so behandelt.

Das zeigt nur zu drastisch, dass die RAF-Häftlinge in den Augen vieler noch immer einen Sonderstatus haben.

CSU und „Bild“-Zeitung argumentieren mit den Stimmen mancher Angehöriger der Opfer – etwa der Witwe von Schleyer. Ist das eine Instrumentalisierung?

Das kann durchaus sein. Vor allem aber glaube ich, dass die Angehörigen der Opfer endlich ernster genommen werden sollten. Es gibt noch immer eine starke Verzerrung: Das öffentliche Interesse an den Tätern ist sehr viel größer als das an den Opfern und deren Angehörigen. Was Frau Schleyer sagt, ist durchaus nachvollziehbar – aber das ändert natürlich nichts an der rechtlichen Beurteilung der Fälle. Dass die Opfer nicht über die Täter befinden dürfen, ist ein fundamentales Kennzeichen unseres Rechtssystems. Kurzum: Das berechtigte Einklagen von Empathie gegenüber den Opfern und den Angehörigen muss man scharf von dem juristischen Verfahren trennen.

Michael Buback sagt, dass er vor allem wissen will, wer seinen Vater 1976 umgebracht hat. Zu Recht, oder?

Ja, auch das ist völlig nachvollziehbar, darf aber in der Frage, ob Gefangene freigelassen werden können, ebenso wenig eine Rolle spielen. Denn es gibt in unserem Recht – darauf hat zuletzt Gerhard Baum hingewiesen – keine Beugehaft – etwa in dem Sinn: Nur wer sich als Täter bekennt, kann auch mit seiner Freilassung rechnen.

Viele Ex-RAFler haben die RAF inzwischen als politischen Fehler bezeichnet und sich distanziert. Der blinde Fleck ist bei vielen allerdings das Bekenntnis zur eigenen konkreten Tat. Verstehen Sie, warum das so ist?

Ja, selbst Ehemalige, die ihre Haft längst hinter sich haben, zögern dabei. Es gibt noch eine ganze Reihe unaufgeklärter Taten – und es kann eine Kette von Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen geben. Die Furcht, so einen Kreislauf in Gang zu setzen, darf man einfach nicht unterschätzen.

Es gibt noch vier RAF-Häftlinge: Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Eva Haule und Birgit Hogefeld. Wäre 16 Jahre nach dem letzten Mord der RAF und 9 Jahre nach ihrer offiziellen Auflösung nicht ein Schlussstrich fällig? Und wäre es deshalb nicht sinnvoll, alle vier zu entlassen?

Nein. Es kann schon allein deshalb keinen Schlussstrich geben, weil eine Reihe von Mordtaten, etwa an Rohwedder oder Herrhausen, nicht aufgeklärt sind. Deshalb kann man dieses „Kapitel“ auch nicht für geschlossen erklären. Ich bin auch in anderer Hinsicht grundsätzlich gegen einen Automatismus. Das Recht soll auch für RAF-Häftlinge individuell gelten. Ich bin dafür, dass Brigitte Mohnhaupt auf Bewährung freikommt. Ich hoffe auch, das Christian Klar mit seinem Gnadengesuch beim Bundespräsidenten Erfolg hat. Und noch mehr würde ich das Birgit Hogefeld wünschen, die mir als Einzige der vier in einen glaubwürdigen Prozess der Selbstreflexion eingetreten zu sein scheint. Aber eine kollektive Lösung wäre falsch.

Warum?

Weil das die Verdrängungstendenzen, die es seitens vieler Linker noch immer gibt, nur stützen würde. Mich stört außerdem das pseudorationale Argument von Antje Vollmer und Friedrich Küppersbusch, dass RAF-Häftlinge länger als NS-Täter im Knast waren. Denn das würde bedeuten, sich an einem tendenziellen Versagen der Justiz orientieren zu wollen. In den 70er und 80er Jahren gab es das ewige Mantra „Freiheit für alle RAF-Gefangenen“. Das heute weiter zu praktizieren, wäre ein falsches Signal, ganz nach dem Motto: Bloß keine Auseinandersetzung mit den Taten.

In den 80er Jahren war das aber nicht bloß der Versuch, Selbstkritik zu vermeiden. Es war die verpasste Chance, den Krieg zwischen RAF und Staat früher zu befrieden. Das war eine sinnvolle Forderung.

Ja, damals wäre das in der Tat wichtig gewesen. Aber das ist längst vorbei. Die RAF existiert nicht mehr als Projekt des bewaffneten Kampfes, aber noch immer als ein Projekt von Identitätspolitik. Das war die RAF übrigens auch in den 70er Jahren schon. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es noch immer Identifizierungen mit der und Projektionen auf die RAF gibt …

Wo denn? Zuletzt schien die RAF als Modeaccessoire zu überleben. Seit die Prada-Meinhof-T-Shirts out sind, ist die RAF endgültig Geschichte.

Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich erinnere etwa an den Ulrike-Meinhof-Kongress von 1996. Da waren ein-, zweitausend vorwiegend junge Leute, die sich durchaus mit der RAF identifiziert haben. Das war nicht Pop, das war Ernst. Damit hatte damals niemand gerechnet. Diese Affinität zur RAF gibt es etwa in Teilen der autonomen Bewegung auch heute noch. In diesem Zusammenhang ist auch Brigitte Mohnhaupt von möglicher Bedeutung. Sie hat ja wirklich nie etwas bereut oder Schuld eingestanden, sie ist im Grunde die „Eiserne Lady“ der RAF. Ich erinnere außerdem an den Prozess 1980 gegen Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“, in dem die Angeklagten als die „Unbeugsamen von der Spree“ von der Szene gefeiert wurden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir es wieder mit einer Form der Verehrung für die „unbeugsame“ Brigitte Mohnhaupt zu tun haben könnten.

Glauben Sie, dass Mohnhaupt, 57 Jahre alt, die Ikone einer – ja, welcher Szene überhaupt werden kann?

Ikone vielleicht nicht. Aber Klar und Mohnhaupt waren die zentralen Akteure der so genannten „Offensive 77“, also der Ermordung von Ponto und Schleyer. Mohnhaupt hat 1977 die Führung der RAF übernommen und diesen Staffelstab länger als irgendjemand sonst in der Hand gehalten …

und ins Nichts getragen …

Trotzdem aber ist sie ein Symbol für den immer noch verbreiteten Mangel an einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit der RAF.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen