: Abpfiff in Italien
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Ein toter Polizist, ein Land unter Schock, ein Sport unter Quarantäne: Seit Freitagabend, seit den schweren Ausschreitungen in Catania, in deren Verlauf der 38-jährige Beamte Filippo Raciti tödlich verletzt wurde, herrscht in Italiens Fußball der Ausnahmezustand. Sämtliche Spiele des Wochenendes wurden suspendiert, bis zur Verabschiedung „robuster Maßnahmen“ (Ministerpräsident Romano Prodi) bleibt der Spielbetrieb vorerst eingestellt. Und heute werden Innenminister Giuliano Amato, Sportministerin Giovanna Melandri und Prodi selbst mit den Funktionären des Fußballverbandes Federcalcio und des italienischen Olympischen Komitees zusammentreffen, um über die robuste Reaktion zu beraten.
Denn allzu offensichtlich ist, dass die schweren Ausschreitungen am Rande des Erstligaderbys zwischen den sizilianischen Mannschaften Catania und Palermo – es endete 2:1 für Palermo – keine Ausnahme darstellen. Eigentlich waren die Bilder, die am Freitagabend über die Fernseher liefen, Alltag: Etwa 1.000 Catania-Fans versuchten zu Beginn der zweiten Halbzeit den Palermo-Block zu stürmen, die Polizei reagierte, Tränengas waberte durchs Stadion und erzwang eine Unterbrechung des Spiels, dann gingen die Scharmützel draußen weiter. Als Wurfgeschosse setzten die Catania-Hools Waschbecken, Straßenschilder, Steine und auch Sprengkörper ein. Die Bilanz waren am Ende mehr als 100 Verletzte, unter ihnen 60 Polizisten – und eine Toter. Unklar war gestern, ob Raciti Opfer einer dieser Bomben, eines großen Steins oder eines Schlages wurde.
Wie sehr die Polizei schon im Vorfeld mit einem solchen Szenario gerechnet hatte, zeigte sich daran, dass das als riskant eingestufte Spiel extra auf den Freitag vorverlegt worden war, da am Sonntag Catania seine Stadtheilige Sant’Agata feierte. Und nicht umsonst hatten die Sicherheitskräfte bei 21.000 Zuschauern 1.500 Polizisten aufgeboten.
Italien bekommt, meistens fast schon im Nachspann der Nachrichten, immer wieder Routineberichte von Fanausschreitungen, von verwüsteten Zügen oder Raststätten geliefert. Ein absolutes Novum – nach immerhin 20 toten Fans in den vergangenen 45 Jahren – war aber, dass diesmal ein Polizist bei den Ausschreitungen sein Leben lassen musste. Neu auch war, dass der Fußball innerhalb von nur sechs Tagen gleich zwei Todesopfer gefordert hatte; am Samstag der Vorwoche war der Funktionär eines kalabresischen Vereins nach einer Provinzpartie bei einer Schlägerei von Spielern der gegnerischen Mannschaft getötet worden – und im Nachhinein erscheint es als makaber, dass das Spiel Catania–Palermo mit einer Schweigeminute für ihn begonnen hatte.
Nicht bloß der Osservatore Romano fordert jetzt einen völligen Spielstopp für den gesamten Rest der Saison. Zu dieser drastischsten aller möglichen Maßnahmen wird es wohl nicht kommen. Doch eine mindestens zweiwöchige generelle Spielpause ist zu erwarten; danach soll es nur unter völlig veränderten Bedingungen weitergehen. Als eine Option gilt, die Spiele vor leeren Stadien auszutragen: Publikum soll erst dann wieder zugelassen werden, wenn die Arenen ihre Sicherheitsstandards angepasst haben und strenge Personenkontrollen an den Eingängen ebenso wie die namentliche Ausstellung der Tickets gegen Vorweisen des Personalausweises gewährleisten können. Im Gespräch ist auch die völlige Unterbindung von organisierten Fanreisen zu den Auswärtsspielen der eigenen Mannschaft.
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