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Ohne Gnade. Dennoch frei

1977 lässt sie keinen Zweifel daran, dass ab jetzt sie die RAF führt. Nur zwei Monate später ist Buback tot

VON WOLFGANG GAST

Der Satz ist hart und bitter: „Der Inhalt der Beziehung ist zerstört, eine andere Entscheidung als die Trennung nicht mehr möglich.“ Es ist Ende Oktober 1993. Das letzte RAF-Attentat liegt zweieinhalb Jahre zurück, und Brigitte Mohnhaupt, in Aichach inhaftiertes früheres Mitglied der Roten Armee Fraktion, zieht im Namen der „Gefangenen aus der RAF“ den Schlussstrich – unter ihre Beziehung zu den aktiven Militanten im Untergrund und unter die zu den eigenen Genossen, die seit über 15 Jahren in Niedersachsen im Celler Gefängnis eingesperrt sind.

Offiziell wird sich die RAF erst fünf Jahre später mit einer schriftlichen Erklärung auflösen, tatsächlich ist das Kollektiv aus bewaffneten Kämpfern im Untergrund und inhaftierten früheren RAF-Mitgliedern aber nun zerbrochen. Der Vorwurf, den Brigitte Mohnhaupt öffentlich erhebt, wiegt schwer: Verrat an der eigenen Geschichte.

Das Zerwürfnis hat eine Vorgeschichte. Mit dem Wissen der RAF-Aktiven im Untergrund haben die in Celle inhaftierten RAF-Gefangenen Karlheinz Dellwo, Lutz Taufer und Knut Folkerts der Politik ein Geschäft vorgeschlagen. Grob skizziert lautet es: Die RAF stellt den bewaffneten Kampf ein, der Staat lässt im Gegenzug die am längsten einsitzenden RAF-Gefangenen frei, für die übrigen gibt es Hafterleichterungen. Und: Die Fahndung nach den RAF-Aktiven im Ausland wird eingestellt. Bei Kanzler Helmut Kohl (CDU) und seinem Kabinett sollen Prominente für das Projekt werben – und die finden sich schnell. Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter will sich dafür einsetzen, die anachronistische Auseinandersetzung zwischen Staat und Guerilla zu beenden. Ebenso der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis. Christian Ströbele, Rechtsanwalt in Berlin und heute Vizevorsitzender der grünen Bundestagsfraktion, gibt sich als Bürge dafür her, dass es sich bei dem Vorschlag nicht um ein verkapptes Fahndungsprojekt der Ermittlungsbehörden handelt.

Brigitte Mohnhaupt, die erst Monate später von alldem erfährt, reagiert heftig. Empört beklagt sie, „dass unser Leben und unser Kampf hinter unserem Rücken abgewickelt werden sollen“. Und weiter: „Seit Mai haben die Gefangenen in Celle die Abwicklung von RAF und Gefangenen in Gang gesetzt, mit Einverständnis der Illegalen.“

Es ist kein Zufall, dass gerade sie im Namen der RAF-Gefangenen den Bruch mit den in Celle Inhaftierten vollzieht. Wie keine andere steht die am 24. Juni 1949 im niedersächsischen Rheinberg geborene Brigitte Margret Ida Mohnhaupt für die Ideologie des bewaffneten Kampfs, wie sie die RAF in den 70er-Jahren vertritt.

Nach dem Abitur in Bruchsal immatrikuliert sie sich für das Wintersemester 1967/68 an der philosophischen Fakultät der Universität München. Ihr Studienziel ist, Journalistin zu werden. Obwohl sie bis Sommersemester 1971 eingeschrieben bleibt, gerät das Studium bald in den Hintergrund. Es ist die Zeit der Studentenunruhen, Mohnhaupt radikalisiert sich und findet bald Kontakt zur Gruppe um die RAF-Gründer Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Im Frühjahr 1971 bricht sie mit ihrer legalen Existenz und geht in den Untergrund, kämpft von Berlin aus gegen das kapitalistische System. Sie wird Logistikerin der RAF, mietet unter falschem Namen Wohnungen an, fälscht Autokennzeichen, beschafft Waffen und Sprengstoff.

In der Berliner RAF-Szene erwirbt sie sich den Ruf einer knallharten Frau. Als etwa die damals 27-jährige Edelgard G. ihre Zuarbeit für die Stadtguerilla einstellt und, von der Polizei festgenommen, Informationen über die Gruppe preisgibt, wird sie von mehreren Personen überfallen und mit Teer übergossen. In ihrem späteren Prozess sagt Mohnhaupt dazu: „Edelgard G. hat ein halbes Dutzend Leute hochgehen lassen. Also, sie hat Leute verraten, Wohnungen verraten. Passiert ist, gemacht worden ist: Sie hat einen Eimer Teer über die Fresse gekriegt und ein Schild um den Hals.“

Am 9. Juni 1972 wird Mohnhaupt in Berlin-Tiergarten verhaftet. Das Landgericht verurteilt die frühere Studentin zu einer Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten, unter anderem wegen Urkundenfälschung, unerlaubten Waffenbesitzes und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. In der Haft gehört Mohnhaupt bald zum engeren Kreis des sogenannten Infosystems, in dem die Strategien der RAF diskutiert werden.

Dann, vom 3. Juni 1976 bis zum 27. Januar 1977, ist Mohnhaupt im 7. Stock der Vollzugsanstalt von Stuttgart-Stammheim inhaftiert. Bis zu vier Stunden täglich hat sie dort „Umschluss“ mit den dort ebenfalls inhaftierten RAF-Mitgliedern. Unter ihnen sind Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Mohnhaupts absehbare Haftentlassung vor Augen, peilen die Gefangenen eine gründliche Reorganisierung der Guerillatruppe für die Zeit nach ihrer Freilassung am 8. Februar 1977 an.

Kaum draußen – schildern andere RAF-Mitglieder –, lässt Mohnhaupt keinen Zweifel daran, dass sie Kraft ihres Auftrags ab jetzt das Ruder in die Hand zu nehmen gedenkt. Schon zwei Monate später beginnt unter ihrer Führung die „Offensive 77“. Die Morde an Generalbundesanwalt Siegfried Buback am 7. April sowie an Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto am 30. Juli 1977, für die Mohnhaupt acht Jahre später verurteilt wird, markieren den Beginn des sogenannten Deutschen Herbstes. Höhepunkt ist die Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, der am 18. Oktober 1977 nach 43-tägiger Entführung erschossen wird.

Dem nach der Schleyer-Entführung verstärkten Fahndungsdruck weichen Mohnhaupt und der harte Kern der RAF nach Bagdad und Paris aus. Aber Mitte Mai 1978 nehmen die jugoslawischen Behörden die Gesuchten Mohnhaupt, Sieglinde Hofmann, Rolf-Clemes Wagner und Peter-Jürgen Boock fest. Ein Auslieferungsantrag der Bundesregierung scheitert, weil Jugoslawien dafür den Austausch von acht Exilkroaten fordert. Wenig später werden Mohnhaupt und ihre Begleiter ins südjemenitische Aden ausgeflogen.

Mohnhaupt kehrt anschließend undercover nach Deutschland zurück und beteiligt sich Mitte September 1981 in Heidelberg an dem Attentat auf den amerikanischen General Frederick Kroesen. Er überlebt.

Gut ein Jahr später wird Mohnhaupt an einem Erddepot der RAF bei Offenbach festgenommen. Zur „Offensive 77“ erklärt sie 1984 vor Gericht, Krieg sei der „Schlüssel, um zur praktischen Vorstellung zu kommen“. Sie wird zu einer Haftstrafe von fünfmal lebenslänglich plus 15 Jahren verurteilt.

In der Justizvollzugsanstalt Aichach endet nun am 26. März ihre vom Gericht verfügte Mindeststrafe von 24 Jahren Haft. Im Gegensatz zu anderen Gefangenen aus der RAF hat Mohnhaupt kein Gnadengesuch gestellt.

„Sie ist nicht die Hardlinerin, als die sie manchmal hingestellt wird“, sagt heute in Aichach Anstaltsleiter Wolfgang Deuschl über die jetzt 57-Jährige. Die Prognose ist nach seinen Worten günstig: „Ich kann aus meiner Sicht davon ausgehen, dass sie nicht mehr straffällig wird.“

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