: Albträume von Männern
Sozialdemokratisierung! DDR-Verhältnisse! Unionspolitiker verstärken den Kampf gegen von der Leyens Familienpolitik
VON LUKAS WALLRAFF
Aus allen Ecken und Enden der CDU wird auf die eigene Familienministerin geschossen. Da will auch die Schwesterpartei nicht länger schweigen. Im Familienstreit in der Union schwang sich Peter Ramsauer gestern zum Wortführer der Kritiker Ursula von der Leyens auf: „Viele in der Union betrachten so manche Vorstellungen der Ministerin nicht als ihre Familienpolitik.“ Das sitzt.
Der Landesgruppenchef der CSU tut gerne so, als könnte er die CDU-Ministerin ausbremsen. Als sie die so genannten Vätermonate beim Elterngeld einführte, um mehr Männer zum Daheimbleiben zu motivieren, lästerte Ramsauer über „dieses Wickelvolontariat“.
Ein Lacherfolg. Nur eine ignorierte ihn: Von der Leyen machte unbeeindruckt weiter – mit ihrer neuen Familienpolitik, die vielen Unionsmännern nicht behagt, weil sie das traditionelle Rollenbild bedroht sehen. Noch bedrohlicher finden Ramsauer und CDU-Konservative wie Jörg Schönbohm, dass von der Leyen eine wichtige Unterstützerin hinter sich weiß: die Kanzlerin, die sich zwar öffentlich zurückhält, aber im Parteivorstand Mehrheiten organisiert.
Dass sich die beiden Führungsfrauen der deutschen Familienpolitik, Ursula von der Leyen und Angela Merkel, auch von ihm nicht irritieren ließen, muss Ramsauer sehr schwer getroffen haben. Inzwischen schießt er wütend zurück. Trocken und humorlos. Nicht weniger als eine „Sozialdemokratisierung“ der Union drohe durch die neue Politik in Berlin, schimpfte Ramsauer im Duktus von Merkels Erzrivale Friedrich Merz im Münchner Merkur. Auch das sitzt. Auch das war als Beleidigung gemeint. Aber es war gestern nur die zweitschlimmste.
Sachsens Kultusminister Steffen Flath (CDU) sagte über die Kinderbetreuungspläne von der Leyens: „Das erinnert mich schon sehr an die DDR.“ Härter kann ein Unionspolitiker die eigene Parteispitze kaum kritisieren. Wer Flath im Deutschlandfunk reden hörte, bekam den Eindruck, der Kommunismus breche wieder aus, wenn sich von der Leyen mit ihren Plänen durchsetzt. Und wie furchtbar das wäre, schilderte er aus der Erinnerung so: Es sei in der DDR „nicht gerade so ein schöner Anblick“ gewesen, „wenn morgens um 6 Uhr an der Bushaltestelle Mütter mit dem einjährigen Kind standen, also wenn ich daran denke, dass sie vielleicht schon früh um halb vier oder halb fünf aus dem Schlaf gerissen worden sind …“
Solche Schauergeschichten passen zu den Warnungen, die auch führende Unionspolitiker aus dem Westen wie Fraktionschef Volker Kauder von sich geben. Die Union, sagen sie, dürfe nicht den Eindruck erwecken, dass eigentlich alle Mütter schnellstmöglich nach der Geburt ihrer Kinder arbeiten gehen sollten und „einseitig“ Berufstätige fördern.
Dabei kann davon keine Rede sein. Die große Koalition hat vor kurzem erst die steuerlichen Freibeträge für Familien, in denen ein Elternteil zu Hause bleibt, deutlich erhöht. Das Kindergeld bleibt ebenso unangetastet wie das Ehegattensplitting. Die Ministerin will den Vätern bislang nur (ein bisschen) mehr Beteiligung an der Kindererziehung abverlangen und den Müttern die Berufstätigkeit (ein bisschen mehr) erleichtern. Eine Wiederkehr der DDR? Selbst wenn von der Leyen ihre Pläne umsetzt, würde es nur für 35 Prozent der Kleinkinder Betreuungsplätze geben (bisher 15 Prozent). Einige Unionsmänner reden dennoch so, als müssten sie eine Revolution verhindern, die von der Leyen hinterlistig plant. Vor allem der konservative Flügel sorgt sich um den Verlust von Stammwählern. Dass Merkel und von der Leyen in den Großstädten neue Wähler finden, glauben sie nicht recht. So dürften die Familienstreitigkeiten weitergehen. Zwischen Bundes- und Landespolitikern, die um Kompetenzen balgen. Zwischen Traditionalisten und Fachleuten, die nüchtern reformieren wollen. „Neunzig Prozent der Frauen kriegen ihr erstes Kind, wenn sie berufstätig sind“, stellt der CSU-Familienexperte Johannes Singhammer fest. „Darauf muss die Politik eingehen.“ Und es ist auch ein Konflikt der Generationen. Was der Altvordere Schönbohm falsch findet, hält der Junge-Union-Chef für richtig: „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine der zentralen Fragen für die Glaubwürdigkeit der Union“, sagte Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder der taz. „Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass wir viele und gute Angebote für Kinderbetreuung haben.“
Man kann das auch so begründen: „Die gleichzeitige Berufstätigkeit beider Partner ist das heute mehrheitlich gewünschte Lebensentwurf-Modell.“ So steht es in einem Beschluss des Kleinen CDU-Parteitags von 1999, den Merkel als Generalsekretärin herbeiführte. „Die meisten jungen Menschen wollen nicht vor die Alternative Beruf oder Familie gestellt werden“, heißt es da. Doch die Debatte geht jetzt erst richtig los. Papier ist eben geduldig. Angela Merkel auch.
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