: Pflegeskandal wird aufgerollt
Nach dem Fall von angeblicher Körperverletzung in einer Pflegeeinrichtung fordern Grüne und PDS mehr Kontrolle der Heime. Beratungsstelle „Pflege in Not“ will bessere Betreuung für Pflegekräfte
VON GITTE DIENER
Misshandlung und Abzocke statt liebevoller Pflege: Missstände in Berliner Pflegeheimen haben es in den Fokus der Politik und Medien geschafft. Nachdem vergangene Woche in einem Heim der Fall von angeblicher Körperverletzung einer Seniorin bekannt wurde, traten gestern die Grünen zusammen mit der Beratungsstelle „Pflege in Not“ mit einem Forderungskatalog für mehr Qualität bei der Betreuung an die Öffentlichkeit.
Jasenka Villbrandt, sozialpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, forderte vor allem „mehr Transparenz“. Die Berichte der Heimaufsicht sowie die Dokumentation des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) müssten öffentlich gemacht werden. Darauf reagierte die PDS mit Unverständnis, denn ein Bundesgesetz verhindere die Veröffentlichung, so Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Transparenz sei nur auf freiwilliger Basis der Pflegeheim-Träger möglich.
Vergangene Woche wurde bekannt, dass angeblich in einem Pflegeheim der diakonischen EJF-Lazarus gAG in Wedding Patienten vor einer Prüfung des MDK Psychopharmaka verabreicht wurden. Dadurch sollte die Patientin aus finanziellem Interesse des Heims in eine höhere Pflegestufe eingestuft werden. Das EJF-Lazaruswerk weist alle Vorwürfe zurück.
90.000 pflegebedürftige Menschen gibt es in Berlin. Rund ein Drittel von ihnen wird in Langzeitpflegeeinrichtungen betreut. Missstände in Heimen seien nicht die Regel, so die Einschätzung von Grünen-Politikerin Villbrandt. Für Michael Musall, Gewerkschaftssekretär für Altenpflege bei Ver.di, ist der Fall nur „die Spitze des Eisbergs“. Musall macht in erster Linie „die ungenügende Personalausstattung“ dafür verantwortlich. Daraus resultiere eine Überforderung der Pflegekräfte.
Auch „Pflege in Not“, eine Beratungsstelle des Diakonischen Werks, fordert mehr Unterstützung, beispielsweise eine psychologische Betreuung für Pflegekräfte. Die Einrichtung mit eineinhalb Mitarbeiterstellen ist die einzige in Berlin, die sich um diese Pflegekräfte kümmert. „Wir bräuchten hier in Berlin mindestens zwölf Stellen“, fordert Psychologin Dorothee Unger.
Die Forderung nach mehr Personal in Heimen gelte nicht generell, meint Grünen-Politikerin Villbrandt: Es gebe Häuser, die bei einem gleichen Verhältnis von Personal und Betreuenden gut zurechtkommen. „Wie die Einrichtung aussehen soll, bestimmt maßgeblich die Leitung des Hauses“, ergänzt Gabriele Tammen-Parr, die Leiterin von „Pflege in Not“.
Doch auch an den Kontrollinstanzen wird Kritik laut. Die Heimaufsicht, die unter anderem Dokumentation der Pflege in Augenschein nimmt, kontrolliere zu wenig, so Ver.di-Experte Musall. Grüne wie PDS schließen sich dieser Aussage an. Als Konsequenz sollten laut Senatorin Heidi Knake-Werner in den kommenden Jahren 65 statt bisher 44 Prozent der Heime unter die Lupe genommen werden.
Grünen-Politikerin Villbrandt schlägt zudem die Einrichtung eines eigenen Referats „Pflege“ vor. An dem von Knake-Werner vorgeschlagenen Runden Tisch sollen nach Auffassung der Grünen nicht nur Träger der Pflegeeinrichtungen, sondern auch „Pflege in Not“ und Patientenbeauftragte sowie Seniorenorganisationen teilnehmen.
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