piwik no script img

Domestizierte Moderne

Eine Ausstellung im Bauhaus-Archiv widmet sich dem Magazin „die neue linie“, das ab 1929 erschien und sich an den typografischen Ideen des Bauhauses orientierte – bis weit in die Nazizeit hinein

VON RONALD BERG

Man konnte Patrick Rössler seinen Sammlerstolz zur Eröffnung anmerken. Der Professor der Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt hat höchstwahrscheinlich alles verfügbare Material zur Zeitschrift die neue linie zusammengetragen. Seine mit wissenschaftlicher Akribie verfasste Studie bildet die Grundlage für die Ausstellung zum „Bauhaus am Kiosk“ im Berliner Bauhaus-Archiv. Rösslers Buch mit seinen sozial-, wirtschafts- und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen einen Katalog zu nennen, wäre Untertreibung. Vor allem deshalb, weil die Ausstellung über das 1929 erstmals erschienene Lifestyle-Magazin im Bauhausgewande zwar mit vielen Archivalien prunkt, alte Ausgaben der Zeitschrift, originale Fotografien, Schriftstücken, Modezeichnungen und Werbetafeln aufbietet, und sogar bekleidete Figurinen in der Mode der Zeit hinzuzieht, aber auf eine diskursive Erhellung des Phänomens neue linie weitgehend verzichtet.

die neue linie – die konsequente Kleinschreibung und das programmatische „neu“ im Titel deutet es an – war ein Produkt der am Bauhaus entwickelten typografischen Moderne. Bauhaus-Meister wie László Moholy-Nagy und Herbert Bayer prägten das Erscheinungsbild der im Leipziger Beyer-Verlag herausgegebenen Illustrierten. Ihre Kennzeichen: schnörkelloses Design, Mut zur weißen Fläche, die Doppelseite als architektonische Einheit, Typofoto, also die Verbindung von Foto und Text als grafisches Mittel, und künstlerische Titelblätter als Blickfang am Kiosk. Irmgard Sörensen-Popitz, damals so etwas wie Art-Direktorin im Beyer-Verlag, hatte am Bauhaus studiert. Die Mitarbeit der Bauhäusler am Blatt geht wohl hauptsächlich auf ihren Einfluss zurück.

Der Stil der neuen linie änderte sich auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nur graduell. Bis zum 163. Heft vom Februar 1943 bildete die neue linie damit eine Ausnahme im Dritten Reich. Sie war ein publizistisches Feigenblatt in der ansonsten gleichgeschalteten Presse. Allerdings war das Blatt mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren und dem stolzen Preis von einer Reichsmark auch kein Massenorgan. Es richtete sich an eine intellektuelle und modebewusste Oberschicht, insbesondere an die Frau. Anfänglich schrieben Literaten wie Gottfried Benn, Thomas Mann oder Aldous Huxley für das Magazin. Nach 1933 meidet die neue linie politische Themen oder gar offen rassistische oder chauvinistische Töne. Stattdessen dominieren Mode, Reise, Unterhaltung und Gestaltungsfragen. Alles Unschöne wird ausgeblendet. Bei der Gestaltung, etwa bei den durchweg grafisch und in Farbe aufgemachten Titelblättern, erinnert wenig an die Blut-und-Boden-Ästhetik der Nazis. Selbst der pflügende Bauer hinter dem zerrissenen Stacheldraht auf dem Titel vom April 1941 scheint in der Anmutung eher in die Fünfzigerjahre zu gehören. Das Gleiche gilt für Herbert Bayers gerastertes Mussolini-Portrait für das Italien-Sonderheft von 1938. Erst in den Vierzigerjahren kommen tatsächlich Gewehre und Stahlhelmgesichter auf den Titel, aber auch jetzt werden sie noch umgarnt von Blumen und begleitet von milden Frauengestalten, nicht viel anders als in Friedenszeiten, als Frauen beim Sport oder in touristischer Umgebung die Hauptmotive bildeten, oft im surrealistisch anmutendem Montagestil.

Bei den Inhalten bleibt der verherrlichende Beitrag über den „neuen Orden“ der SS die Ausnahme. Lieber ließ man den Fotografen Umbo – auch er ein ehemaliger Bauhaus-Student – die „Erziehung zur Harmonie“ beim BDM ablichten oder beauftragte ihn, die Büsten der „Männer um Hitler“ ins rechte Licht zu setzen. Das man mit solchem Schönheitskult dem NS-Regime zuarbeitete – vergleichbar den im Blatt vorgestellten Filmen von Leni Riefenstahl – versteht sich von selbst.

Aber das Dritte Reich hatte ja auch moderne Seiten, nicht nur was die Entwicklung neuer Waffentechniken angeht, das lässt sich dem Heft entnehmen. Auch das Weltläufige und Elegante, das das „Monatsblatt für Menschen mit Geschmack“ seinen Lesen vorstellt, gab es unter Hitler, selbst wenn es sich, wie Rösslers Studie betont, um eine „domestizierte Moderne“ handelte. Herbert Bayer hielt es in dieser Nische bis 1938 aus, Moholy-Nagy emigrierte bereits drei Jahre früher. Danach verflachte der moderne Touch des Blattes.

Die mit Studenten von der Uni Erfurt eingerichtete Ausstellung blättert ein interessantes Kapitel zum Nachleben des Bauhauses unter dem Hakenkreuz auf. Mit der Gestaltung der neuen linie zogen dessen Prinzipien tatsächlich in die Produktwelt ein, ähnlich wie bei den Stahlrohrmöbel, nur lebten sie unter gänzlich anderen Vorzeichen fort, als man das am vermeintlich „linken“ Bauhaus ursprünglich gedacht hatte.

Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 16. 4., tägl. außer dienstags, 10–17 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen