Der präpotente Held

Jan Ullrichs Versuche, einen Befreiungsschlag zu landen, enden in der Selbstdemontage. Selbst Kritiker des Radlers sind entsetzt, wie schlecht das Exidol in Sachen Krisenmanagement beraten ist

VON STEFAN OSTERHAUS
UND MARKUS VÖLKER

Die Demontage des Helden, die in Wahrheit eine Selbstdemontage war, hatte am Montagmittag begonnen. Am Abend endete sie, betrieben von Jan Ullrich selbst, beschleunigt vom Moderator Reinhold Beckmann, der Ullrich (und später dessen Frau) als Gast im Studio begrüßen durfte. Es war ein eindrückliches Dokument der Sprachlosigkeit. Stunden nach seinem Rücktritt präsentierte sich Ullrich erneut ohne eine Erklärung. Beckmann hakte nach, gebrauchte häufig die Wendung „nochmals, war es nicht so, dass …“.

Ullrich hat keine Antwort, warum er nichts zu seiner Entlastung vorgebracht hatte, nachdem ihm sein Team im Sommer suspendierte. Um Worte ist er nicht verlegen. Aber um Antworten. Es gibt kein Entrinnen. Und entgegen allen Befürchtungen, die abendliche Plauderei könne ohne jeden Tiefgang sein und vor allem die Tragik des gefallenen Heroen beschwören, ist der Spät-Talker bestens präpariert. Er gibt sich nicht mit Ausflüchten zufrieden, und als Ullrich anmerkt, er hätte im Sommer eine Speichelprobe, die seine Unschuld hätte beweisen können, doch nirgendwo abgeben können, weil sich niemand zuständig gefühlt hätte, da entgegnet ihm Beckmann, dass er die Instanzen kenne und notfalls genug Berater um sich habe, die hätten vermitteln können.

Der Tonfall ist gelassen, aber verbindlich. In der Sache geht es gnadenlos zu. Beckmann lässt einen Film einspielen, der den Fall Ullrich noch einmal aufrollt. Der Sportler ist entsetzt. Hajo Seppelt, Dopingexperte der ARD, wird zugeschaltet. Er untermauert die Vorwürfe gegen Ullrich, spricht von harten Indizien, die gegen den Radler gesammelt worden sind. Ullrich bleibt wieder jede Erklärung schuldig, faselt etwas von „manipulieren“. Er kann sich nicht aus der Erklärungsnot befreien. Anderntags kann er die geballte Schelte ob der präpotenten Performance nachlesen. Die FAZ druckt Auszüge aus der Brandrede, die nicht mal mit dem explosiven Ausbruch Rudi Völlers vergleichbar ist. Die SZ zeichnet den Weg nach „vom Tour-Gewinner zum Bier-Ulle“. So ist das, wenn Helden zu Karikaturen ihrer selbst werden. Es waren bizarre Auftritte. Am Abend ohne das dröhnende Selbstbewusstsein, ohne die pauschale Anklage an die Medienleute und Dopinggegner wie dem Heidelberger Molekularbiologen Werner Franke. Es waren auch Zeugnisse mangelnder Selbstreflexion – und der Ausweis einer sehr schlechten PR-Maßnahme.

Seppelt, der nüchtern die Fakten auflistete, sagte der taz am Dienstag, dass er „eine PR-Inszenierung mit so traurigem Ausgang noch nicht erlebt“ hätte: „Mit der gesamten Strategie hat er sich keinen Gefallen getan.“ Der Fluchtversuch endete rasch – für Seppelt erklärte sich angesichts des Gestammels vom Abend, warum er nach der Pressekonferenz keine Fragen beantworten wollte: „Man konnte den Eindruck gewinnen, dass er sich um Kopf und Kragen redet. Mir tut es leid, dass er hier offensichtlich nicht gut beraten ist.“

Die beabsichtigte Wirkung des Auftritts in der ARD verkehrte sich ins Gegenteil. Als Ullrichs Frau Sara, eine Dame aus dem Radsport-Milieu (sie ist die Schwester des Radprofis Tobias Steinhauser) dazukommt, ist das Wesentliche gesagt, Ullrichs Pläne und Visionen interessieren nicht mehr, die Auflockerung mittels Blondine ist Makulatur.

Beobachter sind entsetzt angesichts des gescheiterten Entlastungsversuchs: „Das war alles nicht souverän – eine Mischung aus Selbstüberschätzung und dem Wahn: Ich bin noch wer“, sagt Sylvia Schenk der taz, die ehemalige Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer. „Wenn das sein Vermächtnis war, dann ist das traurig. Er hat die ganzen Medienmechanismen überhaupt nicht durchschaut. Er hat sich selbst disqualifiziert.“ Und auch Schenk diagnostiziert eine katastrophale PR-Beratung. Schlechter könne man niemanden vorbereiten: „Wenn er das aus der Emotion heraus gesagt hätte, okay, aber Ullrich hat Monate verstreichen lassen und bei der Pressekonferenz teilweise von Zetteln abgelesen, das war völlig verfehlt.“

Ein Mann im Widerspruch – doch er wird es nicht einmal gewahr: „Das ist eine Teilschizophrenie, die bei Sportlern weit verbreitet ist“, sagt Schenk. Woher Ullrich diese Selbstsicherheit bezieht, blieb Beobachtern ein Rätsel. Die Juristin Schenk hat dafür eine Erklärung: „Ob es höchstrichterlich zu einer Verurteilung kommt, weiß man nicht. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er straffrei ausgeht – daraus bezieht er wohl seine Selbstsicherheit.“ Ansonsten bleibt Schenk die Erinnerung an Jan Ullrichs große Leistungen, doch vor allem an die „Tragik der letzten Jahre“.