JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: Bekenntnisse eines Billigfliegers

Vergesst ETA, RAF und al-Qaida: Flugzeuge sind die wahren Terroristen unserer Zivilisation!

Die Welt der Flughäfen hat ja immer etwas Steriles. Der in Tempelhof sich befindet, der leider bald totes Gelände sein wird, weil die Anwohner mitten in der Stadt nicht mehr Kerosin vom Himmel versprüht haben möchten, ist nicht mehr steril, sondern morbid. Bald ist er nicht mehr, der, recht besehen, Hildegard-Knef-Airport heißen müsste: Dort kam diese große Deutsche immer an, wenn sie in den USA war, auf dem Körper Pelz, in den Armen viele Rosen. Das sah nach weiter Welt aus, Stuyvesant und roch nicht nach Eisbein auf Sauerkraut.

Dort jedenfalls stand gestern die sinnloseste Ökomahnwache aller Zeiten. Ein Mann, nur bei genauerem Blick nicht als Obdachloser zu erkennen, hielt ein Schild hoch, die Schrift wie Kartoffeldruck rüde: „Kerosinschweine bedrohen unsere Erde und unsere Kinder“. Auf forsche Nachfrage – mit der er nicht rechnete, wäre er sonst so hastig einen halben Schritt zur Seite gesprungen? – sagte er: „Zahlen Sie mal an den Regenwaldfonds! Flugzeuge sind die Terroristen unserer Zivilisation!“ Die Tirade nahm erst ein Ende, als ich ihm versicherte, meinen Mittagsflieger nach Brüssel zu verpassen, würde ich weiter mich für ihn interessieren. Er, brüsk: „Sie sollen sich für Umweltschutz interessieren, nicht für mich. Für mich doch nicht!“

So sitzen denn also 21 Umweltsäue im knatternden Jet, um Europas Hauptstadt zu besuchen, aus welchen Gründen auch immer. Grob gezählt, sind elf von uns eher finanziell wenig rosig gebettet, und das heißt, wir würden nicht fliegen, müssten wir jene Preise zahlen, den Ökos für sinnvoll halten: Das muss doch sein, der Kinder wegen, nicht wahr, den von morgen, übermorgen und für alle Ewigkeit aller Nachwuchs?

Andererseits habe ich keinen Nachwuchs und nach mir die Sintflut, aber die bitte auf dem Surfbrett. Diese ganze Debatte, hätte ich sie im Flugzeug – sie hätten meiner flammenden Rede gegen das Billigfliegen ja nicht sich entziehen können, haha! – angezettelt, mahnend, drohend, dräuend, hat etwas Absurdes. Anders gesagt: Wer die Klimakatastrophe unbedingt haben möchte, sorgt dafür, dass das Billigfliegen abgeschafft wird. Nur mal einen Moment vorgestellt, Anfang der Fuffziger hätte ein Prophet gestöhnt: „Hört, ihr anderen Menschen, in einem halben Jahrhundert werdet ihr die Bilanz des Schlamassels in Händen halten, die Ohren nicht verschweißt. Hört sofort auf, euch Autos zu kaufen, die Autobahnen zu nutzen – zahlt für die modernen Kraftfahrzeuge Preise wie der Adel einst für seine Kutschen.“ Und wir ahnen, ach was, wissen: So einem hätten wir alle recht gegeben, alles in allem, und wären trotzdem hübsch Auto gefahren.

Denn der gemeine Prolet, von dem die Ökos im Allgemeinen nichts wissen und die Grünen im Speziellen nur wenig, will alles, was die besseren Stände auch haben. Reisen, Jetset, Flughafenlounges, Autos fahren, wann und wo man will – nicht abhängig sein von Ort, Zeit und Bedingungen: Geile Zeit auf der Autobahn, die hat man gern. Weil das Auto Freiheit ist und Flugzeuge Freiheiten im Quadrat.

Wer den Prolls, die mal am Wochenende gucken, wie es in Riga, Brüssel oder Alicante aussieht, die ein paar Tage Kumpels besuchen in Ljubljana, am Shannon oder Antalya, diesen auf der Marktwirtschaft geborenen Mist ausreden will, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, den feinen Luxus des Fliegens nicht teilen zu wollen.

Das ist dann die Zeit des Klassenhasses – und ein solcher ist ein freundlicher Charakterzug, weil er den höheren Ständen anzeigt, mit der Lust auf Wohllebe nicht allein auf der Welt zu sein. Rückflug gestern Mittag, Tempelhof überlebt immer noch, Hildegard Knef ist längst begraben, und der Ökoprediger hat jetzt vor dem Flughafen Aufstellung genommen. Er ruft: „Das Ozonloch lutscht uns alle auf. Die Gefahr lauert auf jeder Rolltreppe.“ Er trägt ein neues Transparent, darauf zu lesen: „Handys machen Ohrmuschelkrebs“.

Ich schenke ihm die Schokolade, die es an Bord gab, sogar in der Holzklasse umsonst. Der Mann sagt: „Danke.“

Über den Wolken? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH