: Randale nach der Wahl von Sarkozy
In Frankreich randalieren Anarchisten und Trotzkisten in den Innenstädten gegen den Sieger vom Sonntag – und nicht in den sozialen Brennpunkten der Banlieues. Die Rechte macht die Sozialisten verantwortlich, die die Ausschreitungen kritisieren
AUS PARIS DOROTHEA HAHN
„Sarko-facho“ skandierten mehrere hundert junge DemonstrantInnen in Paris, Rennes, Lyon, Toulouse und Nantes in der Nacht zu Dienstag. Sie beschimpften den neu gewählten französischen Präsidenten mit einem Wort, das der anderthalb Jahre zuvor selbst benutzt hatte, als „Gesindel“. Vielerorts gaben die DemonstrantInnen den Medien die Schuld für den Wahlausgang. Es war die zweite aufeinanderfolgende Nacht von Demonstrationen gegen Nicolas Sarkozy.
Ähnlich war es am Vorabend, als in den Stunden nach der Schließung der Wahllokale landesweit 730 Autos ausbrannten und 592 Personen verhaftet wurden. In der Nacht zu Dienstag endeten die Demonstrationen erneut mit Massenverhaftungen, eingeschlagenen Schaufenstern und brennenden Autos. Am Morgen nach der zweiten Demonstrationsnacht rief der Chef der Sozialistischen Partei (PS) zur Ruhe auf. „Ich kann die Wut und Enttäuschung verstehen“, erklärte François Hollande. Die einzige angemessen Reaktion auf Sarkozys Wahl sei jedoch die Beteiligung an den Parlamentswahlen im Juni. Ein Polizeisprecher nannte die Demonstrationen und Schlägereien „antidemokratisch“. Und auf studentischer Seite sagte der Sprecher der sozialdemokratischen Gewerkschaft Unef, Bruno Juillard, die Demonstrationen für „kontraproduktiv“, weil sie die Jugendlichen nach der Wahl mit einer selten hohen Beteiligung wie antirepublikanisch erscheinen ließen. „Das ist nicht die angemessene Antwort“, sagte Juillard.
Lange vor dem zweiten Wahlgang hatten Jugendliche in französischen Banlieues den Aufruf in Umlauf gebracht, loszufackeln, falls Sarkozy gewinnt. Wenige Tage vor dem zweiten Wahlgang war die gescheiterte sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatin die erste, die diese Gewaltandrohungen öffentlich erwähnte. „Alle wissen, dass es gewaltsame Ausschreitungen geben könnte, wenn Sarkozy gewinnt“, sagte sie. Ihre politischen Gegner verübelten ihr das „Aufruf zur Gewalt“. Gestern machten Sarkozy-AnhängerInnen die PS erneut für die nächtlichen Ausschreitungen verantwortlich.
Nicht in sozialen Brennpunkten in der Banlieue, sondern in wohlhabenden Innenstädten kommt es jetzt zu den Wutausbrüchen. Die DemonstrantInnen sind in Paris oft SchülerInnen an bekannten innenstädtischen Gymnasien. Auch StudentInnen haben sich zu ihnen gesellt. Letztere protestieren gegen die von Sarkozy angekündigte größere universitäre Autonomie, die sie in finanzielle Abhängigkeiten von Unternehmen treiben könnte. Auf die Organisationen, deren Logos bei den Demonstrationen zu sehen sind, hat die PS keinen Einfluss. Es handelt sich meist um anarchistische und trotzkistische Gruppen.
Unterdessen schipperte Sarkozy auf einer 60 Meter langen Luxusjacht, die dem französischen Unternehmer Vincent Bolloré gehört, von Malta in Richtung Sizilien. Der Politiker, der einen Wahlkampf für eine radikale Sparpolitik des Staates gemacht hatte, war am Morgen nach der Wahl abgeflogen, um einige Tage „in sich zu gehen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen