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Germany’s Next Freakmodel

Punks, Tattoos und lange Nasen: Eine junge Agentur in Berlin vermarktet ungewöhnliche Models für Werbung, Film und Fernsehen. Geklonte Topmodels sind von gestern

MODERATORIN SUCHT SHOW

Das heutige Finale von „Germany’s Next Topmodel“ (20.15 Uhr, Pro Sieben) schaut sich auch „Autseider“-Chefin Diana Briant an, schon wegen Runway-Trainer Bruce Darnell. „Bruce ist auch eine Art Freakmodel. Er hat Narben im Gesicht und ist so verrückt und rennt in Highheels durch die Gegend“, sagt Briant. Auch bei einer Show namens „Germany’s Next Freakmodel“ könnte sie sich ihn gut vorstellen – und sich selbst als Moderatorin. „Ich weiß zwar nicht, wo man sich dafür bewerben müsste, aber ich würde so eine Show sehr gerne moderieren. Ich glaube, dass eine Show mit freakigen Models eine noch größere Quote hätte – weil sie viel ehrlicher wäre.“ Anfragen von interessierten Sendern bitte an tazzwei@taz.de.

VON MICHAEL AUST

Auf dem Asphalt vor dem „Schlecker“ sitzen ein paar Filmstars in fröhlicher Runde. Fünf Punks in schwarzen Muskelshirts und zwei Hunde mit heraushängenden Zungen genießen den sonnigen Spätfrühlingstag in Prenzlauer Berg. Die Punks haben gerade neben Veronica Ferres und Heino Ferch in „Das Wunder von Berlin“ mitgewirkt, einem Drama über den Mauerfall, das 2008 im ZDF laufen soll. Dort haben sie gespielt, was sie sind. Jetzt sitzen sie auf dem Gehsteig, rauchen und reden. Einer hält einen Pappbecher in der Hand, ein anderer streichelt seinen Hund.

Ein paar Häuser weiter sitzt an diesem heißen Nachmittag Diana Briant hinter ihrem Laptop. Die 37-Jährige leitet die Agentur „Autseider“, die einzige Model-Agentur in Deutschland, die sich auf freakige Models spezialisiert hat. An der Tür ihres Erdgeschossbüros in der Berliner Erich-Weinert-Straße steht ein ganzkörpertätowierter Mann, ein Pappaufsteller. Den echten hat sie in ihrer Kartei. Genau wie die Punks vor „Schlecker“.

„Hana, Barbara und Anni hätten bei mir keine Chance“, sagt Briant und schüttelt ihren Kopf wie der Personalchef einer Bank, dem man gerade einen Bewerber mit tätowierter Glatze vorgestellt hat. „Ein Bierbauch, eine große Nase, abstehende Ohren oder ein punkiges Äußeres – das sind Sachen, die ich interessant finde.“ Die Finalistinnen von „Germany’s Next Topmodel“ seien langweilig. Mainstream eben.

Dass Diana Briant selbst Mainstream ist, kann man nicht behaupten. Die Frau mit den blonden langen Haaren ist wahrscheinlich die einzige Chefin einer Modelagentur, die ungeschminkt Interviews gibt. Ihre Geschichte erzählt die gebürtige Duisburgerin genauso. Sie hört sich an wie ein Märchen. „Im September 2005 hatte ich einen Traum“, erzählt Briant, und das Plätschern des Zimmerspringbrunnens sorgt für die nötige Traumkulisse. „Darin habe ich einen Punk im Lagerfeld-Anzug gesehen. Und da wusste ich: Das war es.“ Briant war damals erst seit ein paar Monaten in Berlin, hatte hier gerade ihre große Liebe kennen gelernt. Daraufhin brach sie im Ruhrgebiet alle Zelte ab. „Ich hab mein Kind, Hund und Möbel in einen 7,5-Tonner gepackt und bin nach Berlin gefahren – ohne Wohnung, ohne nischt.“

In Berlin angekommen, zeigte ihr Jessin die Stadt. „Er ist ein sehr freakiger Typ“, sagt Briant über ihren Lebensgefährten. Zusammen mit ihm zog sie durch Berlin, lernte, welchen Schnorrern man Geld geben sollte und welchen nicht. Und lebte in dieser Zeit selbst von wenig Geld. „Ich bekam Hartz IV. Das war nicht schön, musste aber vielleicht so sein – wie hätte ich sonst diesen Beruf finden können?“

In den Wochen nach ihrem Berufs-Traum zog Briant in Berlin durch die Straßen und sprach Punks und Schnorrer an. „Die habe ich einfach mal gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, vielleicht nicht mehr mit dem Pappbecher auf der Straße zu stehen, sondern sich ein bisschen Kohle nebenbei zu verdienen.“ Briant sagt wirklich „nebenbei“ zu verdienen. Ihr Respekt vor dem Leben auf der Straße ist groß. „Von 100 Schnorrern haben mich 70 gefragt, wo die Agentur ist.“ Die Frau mit dem Traum war überrascht.

Ab März 2006 ging dann alles sehr schnell. Die Hartz-IV-Empfängerin beantragte beim Jobcenter Einstiegsgeld („Wir reden hier von 205 Euro im Monat“), mietete zusammen mit ihrem Lebensgefährten Jessin einen Büroraum, zimmerte sich zwei Schreibtische aus Paletten und schickte ihre Tochter mit selbst kopierten Flyern auf die Straße. „Ihr seid Punks, Gothics, extrem gepierct oder tätowiert, Rocker oder Skater – oder einfach anders als die anderen?“ steht auf den Flugblättern, die auf Briants Schreibtisch gestapelt liegen. „Habt ihr etwas, das euch vielleicht stört? Dann seid ihr bei uns genau richtig.“

Als Briant ihre Agentur Anfang April 2006 eröffnete, meldeten sich gleich am ersten Tag 40 Models an. Jetzt musste die andere Seite bearbeitet werden – Werbeagenturen, Castingfirmen, Filmproduktionsfirmen. „In den ersten zwei Monaten haben wir sicher 6.000 E-Mails verschickt“, erzählt Briant. „Die, die sich nicht zurückgemeldet haben, haben sympathischerweise noch eine bekommen. Ich hatte zwar kein Geld, aber viel Geduld.“ Der erste Auftrag kam am 12. Juli, „Meister Propper“ suchte einen freakigen Jäger für einen Werbespot. „Das war für mich der erste kleine Durchbruch.“

Seither kann sich die kleine Agentur über mangelnde Aufträge nicht beklagen. Firmen wie Renault, Venice, West und Tchibo haben „Autseider“-Models für Kampagnen gebucht. Am Freitag startet eine große „ProMarkt“-Werbeaktion in Kooperation mit „Autseider“. Die Idee: Punks werden in Maßanzüge gesteckt. „Wir wollen neue Trends in der Werbung setzen“, sagt Briant.

Auch im Filmbereich sind inzwischen einige der 680 „Autseider“-Models aktiv. „Als Komparse verdient man 55 Euro am Tag, plus Nachtzuschlag“, sagt Briant. „Davon wird man nicht reich, aber für einen, der nichts hat, ist das eine ganze Menge.“ Die meisten Models in ihrer Kartei seien arbeitslos. Die 40 Punker, die sie kürzlich an „Das Wunder von Berlin“ vermittelte, hätten noch nie zuvor so viel Geld in der Hand gehabt.

Auch Jessin Schott, Briants Lebensgefährte und Agentur-Partner, war schon in vielen Produktionen dabei. Der 31-Jährige mit dem Bürstenhaarschnitt mimte in einem Fernsehfilm den Autonomen, in der Serie „K 11“ den Gangster und bei „Richter Alexander Hold“ einen bösen Mieter. „Bei ‚Lenßen und Partner‘ habe ich schon mehrere Sachen gespielt – vom Barkeeper bis zum Drogenbaron“, erzählt er. „Die Casting-Agenturen suchen so Typen wie mich. Warum soll man jemanden nehmen, der nicht tätowiert ist, um einen bösen Tätowierten darzustellen?“

Die Branche verlangt nach authentischen Typen, hat auch Briant beobachtet. „Mit überzüchteten Models kann sich heute niemand mehr identifizieren. Das hat auch die Werbebranche langsam kapiert.“ Als ihre Agentur im letzten Jahr zusammen mit der Firma BossHoss einen Kalender erstellte, für den Gefangene der JVA Cottbus posierten, sprang für einen Häftling, der vier Jahre wegen Drogenschmuggels einsaß, nebenbei eine Filmrolle heraus: Er spielte einen Häftling in der RTL-Serie „Hinter Gittern“. Den Zeitungsbericht darüber hat sich die Agentur-Chefin neben anderen Artikeln über die „Autseider“ an die Wand geklebt. So als könnte sie den Erfolg ihrer kleinen Firma insgeheim immer noch nicht glauben.

Während sie spricht, öffnet sich die Tür, und herein kommen Caro und Chris. Ihre Haare sind so strubbelig wie die von Briants Hund Pepsi. Nur bunter. Chris, 21, trägt ein Muskel-Shirt mit dem Slogan „Punk is not dead“, seine Lederjacke trägt er lässig über der Schulter. Nachdem er alle per Handschlag begrüßt hat, bittet er den Fotografen um ein wenig Geduld. „Ich muss mich noch frisch machen“, sagt er und verschwindet in Richtung Toilette.

Chris lebt von Hartz IV, seine Freundin Caro macht derzeit ein soziales Jahr. Für ihre Rollen in „Das Wunder von Berlin“ bekamen die beiden Punks 350 Euro, auch in der neuen ProMarkt-Kampagne werden sie zu sehen sein. Und nach dem Foto-Shooting werden sie wieder vor dem „Schlecker“ sitzen. Ein Runway-Training braucht keiner von beiden.

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