: „Die Steuerreform ist keine Gewissensfrage“
Letztlich zählt die Parteidisziplin, meint der SPD-Linke Ortwin Runde. Der Finanzexperte ist gegen die Reform der Unternehmensteuer, die 5 Milliarden Euro jährlich kostet. Trotzdem wird er heute im Bundestag für sie stimmen
ORTWIN RUNDE, 63, ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Finanzausschusses. Er war in den Neunzigerjahren in Hamburg zunächst als Senator für Arbeit, Gesundheit und Soziales und später als Senator für Finanzen tätig. Von 1997 bis 2001 war er Bürgermeister der rot-grün-regierten Hansestadt.
taz: Herr Runde, die Reform der Unternehmensteuer wird heute im Bundestag endgültig verabschiedet. Wie haben Sie sich bei der Probeabstimmung in der SPD-Fraktion verhalten?
Ortwin Runde: Ich habe mit Nein gestimmt.
Und heute im Bundestag?
Da werde ich mit Ja stimmen.
Ist das nicht etwas widersprüchlich?
Bei Gewissensentscheidungen muss man natürlich seiner Meinung folgen. Aber die Unternehmensteuerreform ist „nur“ eine politische Sachfrage. Da gibt es immer zwei Ebenen: die interne Willensbildung und dann die Abstimmung im Parlament.
Am Ende siegt also die Parteiloyalität?
Mich ärgert es sehr, dass die Reform den Staat 5 Milliarden Euro jährlich kosten wird. Deswegen habe ich ja in der Fraktion dagegen gestimmt. Aber letztlich ist es ein Kompromiss mit der Union, ausgehandelt im Koalitionsausschuss – und deswegen stimme ich im Bundestag zu.
Aber noch im März hat die parlamentarische Linke der SPD, zu der Sie ja auch gehören, eine 24-seitige „Streitschrift“ gegen die Reform verfasst. Hat das irgendetwas gebracht?
Die Bemessungsgrundlage bei der Gewerbesteuer wurde noch weiter verbreitert.
Das klingt sehr technisch. Mit wie vielen Milliarden können die Gemeinden rechnen?
Milliarden sind es nicht, aber es ist ein zusätzliches Plus von 220 Millionen. Aber Sie müssen immer sehen, dass die Union die Gewerbesteuer vor drei Jahren noch ganz abschaffen wollte.
Die SPD-Linken haben auch gefordert, die Abgeltungsteuer für Kapitalerträge abzutrennen. Trotzdem kommt sie.
Bei uns gibt es immer noch erhebliche Bedenken, weil es unfair ist, Erwerbseinkommen mit einem Spitzensteuersatz von 42 Prozent zu belasten – Kapitaleinkommen aber künftig nur noch mit 25 Prozent. Damit wird den Vermögenden gegeben, was ihnen mit der Reichensteuer genommen werden soll. Immerhin konnten wir erreichen, dass Verluste bei Aktienspekulationen nicht mit Zinsgewinnen verrechnet werden dürfen.
Ursprünglich sollte die Abgeltungsteuer 1,3 Milliarden Euro jährlich kosten – wie viel sind es jetzt?
Noch 800 Millionen.
Vor kurzem haben die SPD-Linken gedroht, der Unternehmensteuerreform nur zuzustimmen, wenn die Erbschaftsteuer „mindestens um 2 Milliarden Euro“ steigt. Davon ist aber nichts zu sehen.
Im Entschließungsantrag der Koalition steht, dass die Erbschaftsteuer künftig „mindestens so hoch wie heute“ sein soll. Leider hat man den Antrag nicht mit einer schönen Zielzahl versehen.
Und noch eine Forderung hat die SPD-Linke nicht durchgesetzt: Sie waren auch dagegen, dass Erben eines Betriebs keine Steuer zahlen müssen, wenn sie die Firma mindestens zehn Jahre fortführen.
Die Reform der Körperschaftsteuer will ab 2008 die Steuerlast von Aktiengesellschaften und GmbHs von 39 auf unter 30 Prozent senken. Die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge wird 2009 eingeführt und soll 25 Prozent betragen. Derzeit werden Zinsen und Dividenden wie andere Einkommensarten mit maximal 42 Prozent versteuert. Zudem wird das Parlament heute einen Entschließungsantrag zur Erbschaftsteuer verabschieden. Das Bundesverfassungsgericht hatte moniert, dass Immobilien bisher nicht in vollem Wert berücksichtigt werden.
Mir ist kein Fall bekannt, wo eine Firma durch die Erbschaftsteuer kaputt gegangen wäre. In extremen Notsituationen kann man die Steuer auch jetzt schon stunden oder sogar erlassen.
Warum hat man nicht auf Sie gehört?
Beinharte Vorurteile sind eben auch durch die allerbesten Argumente nicht zu entkräften.
Trotzdem stimmen Sie heute auch diesem Antrag zur Erbschaftsteuer zu?
Es war eben ein Kompromiss. Wir Linken haben leider immer noch nicht die Mehrheit. Aber wir arbeiten dran.
INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN
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