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Archiv-Artikel

Fluchtburg für alte und neue Eliten

AUS ESSEN HOLGER PAULER

Anfragen sind zwecklos. Führungen? Keine Chance. Die Villa Hügel bleibt in dieser Woche für Besucher geschlossen. „Aus Sicherheitsgründen“, sagt eine Mitarbeiterin der Kulturstiftung Ruhr. Die Polizei habe bereits alle Zufahrtswege abgesperrt, die Gartenzäune seien ebenfalls abgesichert. Auch Berthold Beitz, Vorsitzender des Kuratoriums der gemeinnützigen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und Sachverwalter des Krupp-Vermögens, möchte sich lieber nicht äußern. Der 93-jährige Kopf des Krupp-Imperiums will sich in aller Ruhe auf die milliardenschweren Gäste der Villa Hügel vorbereiten. „Bitte haben Sie Verständnis dafür.“

Zwei Tage lang steht der monumentale Bau, der hoch über dem Essener Baldeneysee aus den bewaldeten Hügeln herausragt, im Mittelpunkt der Weltpolitik. Die Finanzminister der sieben mächtigsten Industrienationen treffen sich im ehemaligen Wohnhaus der Krupp-Dynastie zum so genannten G7-Gipfel. Das Symbol der Industrialisierung des Ruhrgebiets wird für zwei Tage aus seinem musealen Tiefschlaf erweckt. Aus Angst vor ungebetenen Gästen wurden die Villa und der angrenzende Park seit Anfang der Woche mit Sprengstoffspürhunden durchsucht, sagt ein Polizeisprecher. Außerdem gebe es im Umfeld des Parks Personenkontrollen. „Das sind Standardmaßnahmen, wenn Politiker kommen.“

Kein Wunder, denn zu dem Gipfel haben sich auch mehrere tausend Gegendemonstranten angesagt. Und die sollen bitte von den Finanzministern und vor allem von der Villa ferngehalten werden. Die Geschichte wiederholt sich. Als Alfred Krupp die Villa zwischen 1870 und 1873 erbauen ließ, war sie auch als Fluchtpunkt vor den Arbeitern gedacht. Seit der Firmengründung im Jahr 1811 hatte die Familie Tür an Tür mit der Fabrik gelebt, doch der Sohn des Firmengründers Friedrich Krupp wollte seiner Familie eine Heimat abseits des Schmutzes und Lärms der Gussstahlwerke schaffen. Während die Arbeiter weiter nordwestlich der Innenstadt in den Stahlwerken schwitzten und ihre Gesundheit auf Spiel setzten, residierte die Familie von nun an im Essener Süden und genoss bei frischer Luft und natürlicher Stille die Aussicht auf die langsam dahinfließende Ruhr. Die Chefs thronten über der Stadt, während im Tal die Arbeiter malochten.

Der Jugendstilbau passte nie zum Klischee des dreckigen und verrauchten, von der Industrialisierung geprägten Ruhrgebiets. Er war eine Oase der Ruhe inmitten rauchender Schornsteine und lodernder Hochöfen. Hellbeige Mauern, runde Säulen und Bögen außen und großzügige Zimmer, massive Eichenmöbel, Marmorfußböden und Wandteppiche im Innern. Insgesamt 8.000 Quadratmeter Wohnfläche bietet der Bau. Von den 269 Räumen waren etwa 100 zum Wohnen für Familie und Bedienstete vorgesehen. Die Hallen und Empfangsräume hätten genug Platz für etliche Arbeiterfamilien samt Verwandtschaft geboten. Dazu ein 28 Hektar großer Park. Die Villa Hügel war schnell weit über das Ruhrgebiet und Deutschland hinaus bekannt. Kaiser, Könige, Politiker und Industrielle ließen es sich hier gut gehen.

Die „Werksgemeinschaft“

Auch Kaiser Wilhelm II. kam am Wochenende des 8. und 9. August 1912 zum 100-jährigen Firmenjubiläum in die Villa Hügel. „Fest und Besuch waren Ausdruck der herausgehobenen Stellung des größten deutschen Unternehmens“, sagt der Bochumer Historiker Klaus Tenfelde. Krupp hatte seit Jahrzehnten eine „gegenseitig Macht stützende Verbindung“ mit dem preußischen Königshaus und seit der Reichsgründung mit dem deutschen Kaiserhaus aufgebaut.

Aber auch für die Arbeiter gab es eigene Festlichkeiten. Die übliche Auszeichnung der Jubilare fand in diesem Jahr nicht in der Stadt, sondern auf dem Gelände der Villa Hügel statt. Hier, ebenso wie bei den Festabenden für die Werksangehörigen, wurde die „Werksgemeinschaft“ beschworen und die Arbeit als „gemeinschaftliche Pflichterfüllung“ bezeichnet.

Die „Werksgemeinschaft“ der „Kruppianer“ wurde dem Klassendenken der Arbeiterbewegung entgegengesetzt, sagt Tenfelde. Krupp präsentierte sich als eine Gemeinschaft, die alle, vom geringsten Arbeiter bis zum Firmenchef und der Eigentümerin, verbinde, und die ihre Entsprechung in der nationalen Gemeinschaft finde. „Ein neues Weltbild zeichnete sich ab“, folgert Tenfelde, „aus dem ein wichtiger Deutungsstrang in die nationalsozialistische ‚Gefolgschaft‘ und ‘Volksgemeinschaft‘ führen sollte – Begriffe, mit denen ja gleichfalls das Klassendenken überwunden werden sollte.“

Die Nationalsozialisten hatten natürlich Interesse an Krupp. Der Konzern wurde zur „Reichswaffenschmiede“. Adolf Hitler war mehrmaliger Gast in der Villa Hügel. Bertha Krupp und ihr Mann, Gustav von Bohlen und Halbach, profitierten von der Rüstungspolitik des NS-Regimes. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Sohn der Familie und ab 1943 Chef des Unternehmens, wurde bereits 1937 zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannt. 1941 wirkte er an der Gründung der „Reichsvereinigung Kohle“ mit und 1942 wurde er stellvertretender Vorsitzender der „Reichsvereinigung Eisen“. Der Krupp-Konzern beschäftigte im Zweiten Weltkrieg insgesamt 100.000 Zwangsarbeiter. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurde Alfried Krupp wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu zwölf Jahren haft verurteilt. Sein Vater Gustav wurde im April 1945 in der Villa Hügel von amerikanischen GIs verhaftet. Auf eine Anklage in Nürnberg wurde aus gesundheitlichen Gründen verzichtet.

Auch nach dem Krieg blieb das Verhältnis Krupp und Arbeiter ein besonderes. Nur die Villa Hügel büßte ihre Bedeutung ein. Sie war nicht mehr Wohnsitz der Familie. Am 9. Dezember 1987 wurde sie dennoch, ein erstes und wohl auch ein letztes Mal, zum Mittelpunkt eines heftigen Arbeitskampfes: Die Arbeiter des Krupp-Werkes Rheinhausen kämpften um den Erhalt ihrer Hütte. Während einer Aufsichtsratssitzung stürmten sie „ins Allerheiligste“. In Arbeitsmontur, gelbe Helme auf dem Kopf, das IG Metall-Zeichen auf der Stirn und mit Megaphonen ausgestattet, erreichten mehrere hundert Kruppianer die Eingangshalle.

Invasion aus Rheinhausen

„Die Kronleuchter wackelten bedenklich“, sagte der damalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Theo Steegmann einmal. Wie durch ein Wunder wurde das wertvolle Inventar nicht zerstört. „Die Belegschaft war absolut diszipliniert.“ Trotz der Drohung, die von einem ökumenischen Gottesdienst ausging: „Wenn die Hütte in der Ebene bedroht ist, ist die Villa auf dem Hügel in Gefahr“, hieß es in Anlehnung an Bertolt Brecht.

Während Berthold Beitz um die wertvollen Gemälde aus der Kunstsammlung und die massiven Eichenwände bangte, thronte ein lebensgroßes, von goldenen Verzierungen eingerahmtes Porträt des Villa-Erbauers Alfred Krupp über der skurrilen Szenerie. Eigentlich hatte er die Villa gebaut, um seiner Familie unbehelligt von den Arbeitern und der Schwerindustrie ein ruhiges, erholsames Domizil zu schenken. Jetzt kam die Belegschaft persönlich vorbei, um gegen die Pläne der Konzernleitung aufzubegehren – ein letztes Mal.

Das Portrait von Alfred Krupp hängt immer noch da, die Schließung des Stahlwerks Rheinhausen wurde wenige Wochen später beschlossen. 1993 wurde es endgültig stillgelegt. Knapp 6.000 Menschen verloren ihren Arbeitsplatz und vor allem ein Symbol. „Für die Kruppianer war es immer etwas Besonderes, für den Konzern zu arbeiten“, sagte Steegmann. Doch die Schließung stand lange fest. Krupp und die Landesregierung unter Johannes Rau (SPD) hatten sich darauf geeinigt. Für die Belegschaft eine bittere Enttäuschung und für das Denkmal Krupp eine tiefe Kerbe. Und die Villa Hügel stand Pate.

Zu diesem Zeitpunkt war sie längst zum Repräsentationshaus der Krupp-Dynastie mutiert. Wenn die Zahlen mal wieder besonders gut waren, lud der Konzern zur festlichen Bilanzpressekonferenz in die Villa. 1976 verkündet hier Berthold Beitz den staunenden Besuchern, dass Persien unter Schah Reza Pahlewi eine Beteiligung von 25 Prozent am Krupp-Konzern erhalten sollte. Später waren es vor allem Kunstausstellungen, die in der Villa Hügel stattfanden. „Barock in Dresden“, die erste deutsch-deutsche Kunstbegegnung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges machte 1986 den Anfang, im vergangenen Jahr wurden lebensgroße Skulpturen und goldene Schreine aus Tibet der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Finanzminister der G7 sorgen jetzt dafür, dass die Villa für zwei Tage wieder zum exklusiven und abgeschotteten Ort wird.