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Archiv-Artikel

„Berlin ist nicht wichtig“

Wie sehen Chinesen die Stadt an der Spree?

Shi Ming

■ 57, ist Kultur- und Politikjournalist. In Deutschland lebt er schon seit 27 Jahren, in Berlin seit einem guten Jahr.

Berliner und Pekinger haben etwas gemeinsam. Beide leben in dem Bewusstsein, Hauptstädter zu sein. Das drückt sich in einem gewissen Stolz und einer Lässigkeit aus. Das ist ein bisschen die Attitüde: „Wir kennen die Welt.“

Aber die Berliner haben auch mit den Schanghaiern Gemeinsamkeiten. Die nehmen alle Einflüsse begierig auf. Mit Menschen anderer Kulturen leben sie ganz selbstverständlich zusammen, ohne großes Brimborium. Die Haltung der Schanghaier und der Berliner ist kurz gefasst diese: „Wir müssen nicht alle Freunde sein, es ist halt, wie es ist.“

Die Südchinesen dagegen tun sich etwas schwerer mit der Mentalität der Berliner. Sie interpretieren die raue Schale der Berliner fälschlicherweise als Unfreundlichkeit. Die Hongkonger wiederum haben mit den Briten sehr viel gemeinsam.

Für Chinesen, die nicht als Touristen in Europa unterwegs sind, ist Berlin nicht wichtig. Würde man eine Umfrage machen, hieße es: Washington, Paris, New York, London – das sind die wichtigsten Städte im Westen. Wenn es heißt, Berlin sei eine offene und internationale Stadt, verstehen viele meiner Landsleute nicht, was damit gemeint sein könnte. Wenn sie dann hierherkommen, staunen sie, wie easy Berlin ist. Hamburg ist längst nicht so easy. München ist respekteinflößend, Köln ist chaotisch, Düsseldorf ist Möchtegern.

Die Geschichte der deutschen Teilung ist für viele Chinesen eine Attraktion. Damit meine ich die interessierten Chinesen – also die, die nicht nur reisen, um möglichst viele Städte in möglichst kurzer Zeit abzuhaken. Die Chinesen, die als Touristen nach Berlin kommen, haben in der Regel den Zweiten Weltkrieg im Kopf. Durch Filme, Bücher und die offizielle Propaganda in China sind ihnen die Verbrechen während der Nazizeit sehr präsent. Die Chinesen halten den Deutschen zugute, dass sie ihre Verbrechen aufgearbeitet haben. Sie vergleichen das immer mit den Japanern, die sich schwer damit tun, sich zu den Verbrechen der eigenen Geschichte zu bekennen.

Wenig Konkretes

In China selbst haben die Leute wenige konkrete Vorstellungen von Berlin. Außer, dass Berlin inzwischen wieder die deutsche Hauptstadt ist. Wobei es so ist, dass viele junge Chinesen nicht mal wissen, dass Berlin lange Zeit nicht die deutsche Hauptstadt war.

Dass es die Berliner Mauer gab, ist in China allgemein bekannt. Aber dass die Mauer im Jahr des Massakers auf dem Tiananmen gefallen ist, wissen viele Chinesen nicht. Dass der Fall der Mauer mit dem Zusammenbruch des Weltkommunismus verbunden und ein Synonym für die Endlichkeit von Unterdrückung ist – das ist in China nur der Bildungselite bekannt.

PROTOKOLL: PLUTONIA PLARRE