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Suizidale Elemente

Vor dem Schicksalsspiel gegen Hansa Rostock findet Hertha sich am Tabellenende und zu längst überwunden geglaubter Diskussionsunkultur zurück  ■ Von Jürgen Schulz

Uli Hoeneß bereitet das Gebaren von Hertha BSC einiges Kopfzerbrechen. Der Manager des deutschen Fußballmeisters Bayern München faßte sich vor einer Woche an die hohe Stirn. „Bei Hertha ist vom Europapokal die Rede und davon, daß man uns einholen möchte. Der Verein sollte nicht vergessen, daß es für einen Aufsteiger erst mal um den Klassenerhalt geht.“ Stunden später verpaßten die Bayern den Gästen eine 3:0-Niederlage.

In Berlin ist man nach sechs Spielen ohne Sieg auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet. Letzter Tabellenplatz, so bitter hätte sich Hertha den Einstand in der Eliteliga nicht vorgestellt.

„Ich hoffe, wir können in Ruhe weiterarbeiten“, flehte Trainer Jürgen Röber nach der nicht einkalkulierten 0:2-Heimniederlage vor drei Wochen gegen Hamburg. Über 45.000 Hertha-Fans zeigten sich damals im Olympiastadion fassungslos ob der schwachen Leistung ihres Teams, das sich fatal dem naßkalten Abend anpaßte.

Anstatt die Wunden zu lecken, fügten sich die Verantwortlichen bei Hertha mit Wonne neue Verletzungen zu. Zunächst faltete Manager Dieter Hoeneß die Mannschaft öffentlich zusammen. Dann überwarf sich Röber mit dem ihm einst wohlgesonnenen Präsidenten Manfred Zemaitat, der sich wiederum Aufsichtsrat Robert Schwan zur Brust nahm.

Jeder gegen jeden, weil alle nur das Beste für den Klub wollen. Ausgerechnet vor dem eminent wichtigen Samstagsspiel in der Hansestadt Rostock feiert die längst überwunden geglaubte Diskussionsunkultur unter Herthanern, die traditionell suizidale Elemente birgt, eine ungeahnte Renaissance. Erst als der tonangebende Marketingpartner UFA, der um sein seriöses Bertelsmann- Image fürchtete, die Streithähne zur Ordnung rief, kehrte ein ruheähnlicher Zustand ein.

„Was entscheidet, ist auf dem Platz!“ Diese grammatikalisch abseitige Kickerweisheit trifft angesichts der Berliner Misere voll ins Schwarze. Ein Blick auf die Statistik offenbart, wo es derzeit klemmt: an allen Ecken und Enden.

Die Fakten: Keiner der 18 Bundesligisten hat weniger Tore erzielt als Hertha (vier Treffer). Die Abwehr wiederum kommt ihrem Auftrag, des Gegners Stürmer „auszuschalten“, nur sporadisch nach. Elf Gegentreffer kassierte der löchrige Schutzwall, auch dies liegt weit über dem Durchschnitt. Das Mittelfeld, eine Ansammlung von Schönspielern ohne den nötigen Überblick, hängt zwischen Not und Elend.

Obwohl Präsident Zemaitat als gelernter Jurist im Interpretieren von Tatsachen geübt ist, hält er das Ansinnen „für verfehlt, nach sechs Spielen über eine Blutauffrischung des 26köpfigen Kaders nachzudenken“. Ratsherr Schwan indessen glaubt, „wir brauchen unbedingt einen Vollstrecker“, sprich: einen Torjäger. Als Wunschkandidat brachte er den Bielefelder Stefan Kuntz ins Gespräch.

Auch wenn Coach Röber von solchen Vorschlägen offiziell nichts wissen will: Zweifel an der Güte seines Kaders sind berechtigt. Ins Kreuzfeuer der Kritik geraten zunehemend die Stürmer, die bislang den Ball noch kein einziges Mal über die gegnerische Torlinie befördern konnten.

Vor allem der Niederländer Bryan Roy, mit 3,2 Millionen Ablösesumme der teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte, erwies sich bislang als Flop. Dem als Top-Star aus Nottingham geholten Ballartisten haftet wie vielen Absolventen der berühmten Talentschmiede von Ajax Amsterdamm der Makel an, daß sie sich in fremden Gefilden schwer tun. Er könne nicht die Ärmel hochkrempeln, bemängeln Zaungäste beim Training. Das ist in deutschen Landen, wo ein „Kämpfer“ höchste Wertschätzung genießt, das schlimmste aller Urteile.

Der Kameruner Alphonse Tchami (für 2,2 Mio. Mark aus Buenos Aires gekommen) tauchte zuletzt gar nicht mehr im Aufgebot auf, weil ihn angeblich eine Verletzung plagt. Auch der als Mittelfeld-Regisseur verpflichtete Kjetil Rekdal, der die Angreifer torgerecht in Szene setzen soll, ist nicht die erwünschte Trumpfkarte.

„Wir müssen der Mannschaft zehn Spiele Zeit geben“, forderte Zemaitat in weiser Voraussicht Anfang September. Zeit, die sein Verein nicht hat. In Rostock geht es zwar noch nicht um alles, doch mit nichts dürfen die Berliner die Heimreise keineswegs antreten. Ohne einen Punktgewinn gerät Röbers Stuhl ins Wackeln. Auch er weiß, daß sein Vorgänger Bernd Stange 1992 nach einer Niederlage bei den Hanseaten seinen Platz räumen mußte.

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