Jenseits von Vater-Mutter-Kind

■ Der pädagogische Kongreß "Lebensformen und Sexualität" diskutiert die Vielfalt jenseits traditioneller Leitbilder

Der erste pädagogische Kongreß in Berlin zum Thema „Lebensformen und Sexualität“ fand vor fünf Jahren statt. Das Motto „Was heißt hier normal? Lesbisch – schwul – heterosexuell“ konnte tatsächlich einiges bewegen. Größter Erfolg: seit 1995 darf laut Verfassung in den Bundesländern Brandenburg, Thüringen und Berlin niemand „wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden“. Auch „andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften haben Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung“.

Ein erster Schritt, der zumindest theoretisch garantiert, daß jeder seine Lebensform selbst bestimmen kann. Doch das allein reicht nicht, glaubt auch die Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport. So organisierte man eine Folgeveranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, der Diesterweg-Hochschule für Erwachsenenbildung, der TU, der GEW und der Hochschule der Künste. Die Sozialdemokratin Ingrid Stahmer, Senatorin für Schule, Erziehung, Sport, appellierte also in ihrer Begrüßungsrede an die Kongreßteilnehmer: „Wir müssen ermutigen, auch heikle Themen anzusprechen!“

Der diesjährige Kongreß steht daher unter dem Motto „Vielfalt jenseits patriarchaler Leitbilder“. An drei Tagen offerieren nicht weniger als 43 Arbeitsgruppen Referate, Workshops und Diskussionsrunden.

Teilweise standen allgemeine Themen wie „Meine Tochter ist lesbisch – mein Sohn ist schwul“, eine Diashow „200 Jahre des Begehrens – Geschichte gleichgeschlechtlicher Sexualität in Nordamerika“ oder eine Arbeitsgruppe über „Partnerschaft und Singles“ im Seminarplan.

Doch ebenso groß war das Angebot an speziellen Fragestellungen, wie der Titel „Lesbisches Leben außerhalb der Dominanzkultur am Beispiel gehörloser Lesben“ verspricht oder „Widersprüchliche Erfahrungen mit dem eigenen Mann-Sein“. So breit gefächert wie das Spektrum der Veranstaltungen war auch das Publikum: Es kamen rund 600 TeilnehmerInnen, darunter LehrerInnen, PädagogInnen, SozialpädagogInnen und LeiterInnen diverser Jugendprojekte aus allen Teilen der Republik und internationale Gäste.

Die Motive für die Teilnahme waren dabei denkbar verschieden. Da war eine lesbische Erzieherin aus Gießen, die sich vor allem für die schwul-lesbische Jugendarbeit interessiert. Eine Pädagogikstudentin hoffte mehr zum Thema Jugendarbeit zu erfahren, das sei nach der Etablierung von Mädchenarbeit schließlich „das aktuelle Ding im Moment“.

Eine lesbische Studentin aus Essen erhofft sich neue Impulse und weitere Anregungen zur Gesellschaftskritik. Ein 23jähriger Projektmitarbeiter vom Amt für Jugend und Erziehung aus Friedrichshafen interessiert sich für moderne Unterrichtsweisen und hofft auf Anregungen für Fortbildungsmöglichkeiten und Unterrichtsgestaltung. „Wie werden sich die öffentlichen Meinungen zum Thema schwul-lesbischer Lebensformen weiterentwickeln?“ – das fragte sich ein Pädagogikstudent aus Dortmund.

„Was mache ich in meinem Sexualkundeunterricht, wenn dort zu 80 Prozent muslimische Kinder sitzen?“ war eine der häufigsten, auch etwas hilflosen Fragen von GrundschullehrerInnen. Oder: „Was kann man dagegen tun, wenn ein Schüler allgemein als schwul gilt, aber er selbst sich darüber noch gar nicht im klaren ist? Muß man da nicht eingreifen?“ Vor allem LehrerInnen hatten eine Menge Fragen, die sie schließlich in die Arbeitsgruppe der schwul-lesbischen Aufklärungstruppe „Lambda Berlin“ führte.

Seit der Wende lassen sich die ProjektmitarbeiterInnen von Lambda in Schulen einladen, um dort den Kids die Vorurteile gegenüber Homosexuellen auszutreiben. „Haben Lesben auch eine Gebärmutter?“ „Haben Schwule ein breiteres Becken?“ oder „Wie haben deine Eltern reagiert, als du denen gesagt hast, daß du schwul bist?“ – das sind die Dinge, mit denen die Lambda-Mitarbeiter Heiko Kleyböcker und Ulrike Hempel immer wieder gerne konfrontiert werden. Kleyböcker schließlich über den Minimalkonsens seiner Unterrichtsstunden: „den Jugendlichen zu verklickern, daß – egal, ob homo, bi oder hetero – alle Lebensformen gleichberechtigt sind“.

Mit Rollenspielen sollen die Schüler sich in die Lage eines Schwulen oder einer Lesbe versetzen. „Die Kids sollen emotional angesprochen werden“, erklärt Ulrike Hempel. Doch: „Unser Ziel ist es nicht, den Kids zu zeigen, wir sind ganz normal. Wir wollen denen die Gemeinsamkeiten, aber auch die Grenzen zeigen.“

Daß die meisten Sitzungen der Lambda-Truppe bei den Kids gut ankommen, verwundert eigentlich nicht: die Projektmitarbeiter sind in der Regel noch recht jung und gehen mit forschem Optimismus an ihre Aufgabe. Doch sollte mal eine Stunde danebengehen, ist immer noch eines gewährleistet: „Alle Schüler, die wir aufgesucht haben, haben nun zumindest schon einmal in ihrem Leben eine Lesbe und einen Schwulen gesehen.“ Kirsten Niemann