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Mord im Rathaus

Auflösung des Enthüllungsromans: Der Gärtner war's nicht  ■ Von Silke Mertins

Was bisher geschah: Die nackte Frauenleiche im Bürgermeisteramtszimmer versetzt die Stadt in Aufruhr. Die Sozis bringen die Tote zur CDU, um den Verdacht auf Spitzenkandidat Ole von Schneutz zu lenken. Vergeblich. Im Kalender der Toten sind Bürgermeister Henning Vroscherau und GALierin Christa Steger eingetragen. Alles deutet auf einen Betrugsskandal mit Kaimauern hin. Doch dann ist drei Tage vor der Wahl der Bürgermeister verschwunden.

Ein letzter Biß, und die Fessel des Ersten Bürgermeisters Henning Vroscherau fiel. Genosse Walter Zett war von seiner dentalen Schwerstarbeit völlig erschöpft. Klebebandreste hingen an seinem Schnurrbart. „Auch meine Schmerzgrenze ist erreicht“, sagte Vroscherau. Immerhin ließ er sich herab, nun seinerseits Zett und den wimmernden Innensenator Hartmut Schocklage zu befreien. Zu dritt stemmten sie die Tür auf und flüchteten durch die Hintertür in die SPD-Parteizentrale. Gottseidank, es war Samstag. Erst morgen würde gewählt.

Vroscherau wehrte sich vergeblich gegen die stürmische Umarmung von Parteichef Jörg Ochsenbier. Schrecklich. Sogar Finanzsenator Ortwin Wunde tat so, als ob er sich freute. Vroscherau hob den Arm: „Alle mal herhören.“Das Geschnatter erstarb schlagartig. „Wir wissen, wer der Mörder ist.“Ein kollektives Schauern ging durch die Runde. Einer belauerte den anderen. „Ich möchte dich, Franz, bitten, eine Pressekonferenz einzuberufen“, wandte er sich an seinen Senatssprecher. Binnen einer Stunde waren JournalistInnen aus allen Ecken und Enden der Stadt ins Rathaus geeilt. Ob des überfallartigen Termins war so mancher unpäßlich bekleidet oder in Begleitung. Eine taz-Journalistin zum Beispiel hatte ihre wunderschöne und äußerst intelligente Labrador-Hündin Paola dabei. Das Tier schnüffelte bereits interessiert auf dem Teppichboden, wo einst die Leiche lag.

CDU-Spitzenkandidat Ole von Schneutz lehnte lässig an der Tür. Auch Christa Steger war gekommen, was Vroscherau besonders freute. So konnte sie seinen Triumph leibhaftig mitansehen. „Meine Damen und Herren“, holte er Luft, „als Bürgermeister dieser Stadt möchte ich Ihnen sagen, wer der Mörder ist.“Er machte eine dramatische Pause. „Es war Ole von Schneutz.“Ein Raunen durchfuhr den Raum. „Ich???“stammelte der CDU-Frontmann, bevor er ohnmächtig in die Arme des SPD-Wahlkampfmanagers Lutz Grätschmann sank.

Der Bürgermeister fuhr fort: „Erstens: Er hatte ein Motiv. Er wollte mir und meiner Partei schaden. Zweitens: Er hatte die Gelegenheit, denn sein Büro ist mit meinem durch Luftschächte verbunden. Drittens: Sein Name, beziehungsweise der seiner Rechtsanwaltskanzlei, taucht in Unterlagen der Hochtiefbaufirma Graber und Söhne, bei der die Verstorbene gearbeitet hat, auf. Viertens: Die CDU neigt schon aus ideologischen Gründen zur Bereicherung. Er wollte einen Betrug mit den Kaimauern, von dem er profitierte, vertuschen.“

Ein Sturm von JournalistInnen-Fragen brach los. Die hübsche Hündin Paola beschnüffelte nun gelangweilt die Ecken des Büros. Wenig später kam sie mit einer Handtasche im Maul zurück und brachte sie brav Frauchen. Gebanntes Schweigen. Frauchen öffnete die Tasche und fand einen Brief:

Geliebter Franz,

die Wahrheit muß ans Licht. Nicht nur, weil unser Verhältnis nicht mehr so leidenschaftlich ist wie früher, sondern auch, weil ich ein neues Leben anfangen möchte. Ohne Dich. Mit dem Geld von den Kaimauern werde ich dieses Land verlassen. Suche mich nicht. Deine Elke.

Sprachlos blickten alle auf das Stück Papier. Nur einer lief los: Senatssprecher Franz Groß. Doch er hatte nicht mit Paola gerechnet. Schwups – und schon hatte sie ihn am Hosenbein gepackt. Die mutige Hündin knurrte, was das Zeug hielt. Da kam endlich auch Kommissar Wolfgang Langenstädter im Seemannsschritt anmarschiert: „Ich muß Sie festnehmen.“Das war das Ende einer wunderbaren Karriere. „Tja“, sagte Groß.

(*) Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind natürlich rein zufällig und vollkommen unbeabsichtigt.

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