piwik no script img

Ein offenes Geheimnis

■ Ohne das Kind beim Namen zu nennen, will die SPD fast geschlossen eine rot-grüne Wende

Die SPD will nach den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 1999 keine Große Koalition mehr. Ebenso wie beim Koalitionspartner CDU kann das „Hängen und Würgen“, wie die Koalition nur mehr betitelt wird, keine und keiner mehr ertragen. „Ich habe nichts anderes gesagt als bei vielen Gelegenheiten zuvor“, meint SPD-Fraktionschef Klaus Böger, dessen Äußerungen zum möglichen Koalitionswechsel 1999 in der vergangenen Woche für Unruhe sorgten. „Es ist doch eine Banalität, daß die SPD bei den Wahlen eine Mehrheit jenseits von CDU und PDS anstrebt.“

Eine Banalität, die trotzdem Wellen schlug. Was am Donnerstag vergangener Woche für Aufregung sorgte, war deshalb eher eine begriffliche Verschiebung: „Rot- Grün“ ist eine Formulierung jenseits der Schmerzgrenze – beider großen Parteien. Bislang wurde das, wo Rot-Grün drin ist, eben immer die „Mehrheit jenseits von CDU und PDS“ genannt.

Die Parteiführung der SozialdemokratInnen hat bereits im März dieses Jahres ihr Phasenmodell für den Wechsel beschlossen. In einer Klausursitzung einigten sich Parteivorstand, Fraktionsvorstand und SenatorInnen auf vier Elemente:

1. nennt man das Kind „Mehrheit jenseits von CDU und PDS“.

2. wollte man bis zum Sommer in den Wahlumfragen mit der CDU gleichziehen.

3. sollten die ParteivirtuosInnen auf Solos verzichten und nur nach internen Absprachen mit profilierten Thesen an die Öffentlichkeit treten. Diese „Kommunikationsdisziplin“ war darauf ausgelegt, mit verteilten Rollen ein Gesamtkonzept der Partei aufzubauen.

4. schließlich war sich die Führung darüber im klaren, daß sie bis 1999 im linken Lager Stimmen gewinnen muß, um eine rot-grüne Mehrheit auch abzusichern. Deshalb einigten sich die Spitzen neben dem Motto „Klarheit und Wahrheit“ in der Finanzpolitik auf einen Schwerpunkt in den Bereichen Ökologie und Technologie, der die moderne Linke zur Sozialdemokratie ziehen sollte.

„Die Rattenrede von Klaus Landowsky war der psychologische Wendepunkt“ postuliert ein Mitglied der Parteispitze. War bis zu der berühmt-berüchtigten Haushaltsrede des CDU-Fraktionsführers im Februar die Ermüdung in der Koalition durch die zehrenden Haushaltsdebatten groß, hat sich danach auch die politische Grundstimmung verschoben, und man beschloß das „Phasenmodell“. Dieses hat, was die Umfragen und die Sprachdisziplin zu Rot-Grün angeht, auch recht gut funktioniert. Doch in letzter Zeit tanzten gerade einige SenatorInnen aus der Reihe. Erst bekundete Jugendsenatorin Ingrid Stahmer, sie wolle einfach die Sportförderung streichen, und schoß damit gegen die Finanzpolitik der SPD. Und jüngst lancierte Umweltsenator Peter Strieder sein Papier zu den Wohnungsverkäufen, das dem erklärten Willen von Klaus Böger und Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing energisch widerspricht. Der Verdruß über die Verengung sozialdemokratischer Positionen auf eine strenge Haushaltssanierung ist größer, als die konservativere Spitze um Böger, Parteichef Detlef Dzembritzki und Annette Fugmann-Heesing angenommen hatte.

An die Sprachregelung halten sich die SozialdemokratInnen jedoch noch geschlossen – alle bekunden den Willen zum Wechsel, niemand sagt „Rot-Grün“. Parteilinke wie auch die konservativere Parteiführung setzen auf den bündnisgrünen Partner in spe. Zwar behauptet der konservative Fraktionsvize Hermann Borghorst nach wie vor tapfer: „Die Koalitionsaussage treffen wir erst 1999.“ Aber auch er weiß: „Die Stimmung in der Partei ist für eine andere Koalition.“ Parteichef Dzembritzki gibt dizipliniert zu: „In der Partei gibt es keinen Widerspruch mehr gegen die angestrebte Mehrheit jenseits von CDU und PDS.“

Die sprachliche Relativierung ist indes nicht reine Rhetorik. „Der Wunsch nach dem Wechsel ist eher ein Verdienst der Großen Koalition als eine Überzeugung für Rot- Grün“, relativiert selbst Peter Strieder, der mit seinem Umwelt- und Technologie-Senatorenamt die linke Flanke bedienen soll und will. Und Strieder warnt: „Nur durch einen Wechsel des Farbenspiels wird man noch kein begnadeter Maler.“ Vielmehr komme es darauf an, ein Konzept zu entwickeln, aus dem sich Rot-Grün ableiten lasse. Seine Kritk richtet sich an die zögerliche Parteiführung.

In dieselbe Kerbe haut Ditmar Staffelt. Staffelt, Fraktionsvorsitzender der SPD in der ersten Großen Koalition und jetzt Kandidat für den Bundestag, fordert eine konzeptionelle Grundlage für den Wechsel. „Wenn es überhaupt eine Perspektive gibt, dann muß jetzt versucht werden, den Gesprächsfaden mit den Grünen aufzunehmen“, sagt Staffelt. Neben der Sehnsucht nach dem Wechsel herrsche in der SPD auch ein tiefgreifendes Mißtrauen gegenüber dem potentiellen Koalitionspartner. „Rational wünschen sich die GenossInnen den Wechsel, aber auf der Gefühlsebene sieht das noch ganz anders aus“, so Staffelt. Die Erfahrungen der ersten rot- grünen Koalition begründe eine fundamentale Skepsis. Darüber hinaus betont der Parteistratege die veränderte Situation. „Vor der Koalition 1989 waren beide Parteien zusammen in der Opposition“, warnt Staffelt, „heute besteht doch ein großer Widerspruch zwischen dem gemeinsamen Reden und dem Zwist zwischen der grünen Opposition und der regierenden SPD.“ Der Ausweg für den weiten Weg zu einer gemeinsamen Perspektive liegt für Staffelt in einer Doppelstrategie: „Wir müssen jetzt die Zeit in der Regierung nutzen, um die SPD-Position zu stärken, und zugleich im Bundestagswahlkampf die rot-grüne Perspektive profilieren.“ Barbara Junge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen