: Geld ist nie nur Geld
Obwohl das Interesse der Deutschen an Aktien fortlaufend steigt, ist die Bundesrepublik in Sachen Aktienkultur nach wie vor ein Entwicklungsland. Die Deutschen sind eben kein Volk von Händlern, heißt es erklärend. Mit dem Unternehmungsgeist, den Aktiengeschäfte erfordern, tun sie sich eher schwer. Und ihr Umgang mit Geld ist ambivalent und voller Hemmschwellen. Zwischen sparsamem Horten und wildem Konsumieren ist nicht viel Von Verena Kern
auptversammlung der Bankgesellschaft Berlin im ICC, im Frühsommer. Das Allerheiligste liegt hinter Aufgang 7. Securityleute gehen routiniert ihrer Aufgabe nach. Durchleuchten, abtasten, durchnicken. Man fühlt sich wie auf dem Flughafen, sagt Bernd Pauser (Name geändert), 41, freischaffender und erfolgsentwöhnter Literat. Es ist das erste Mal, daß er eine Hauptversammlung besucht. Noch vor der untersten Rolltreppe erhält der Aktionär seinen Block mit den Stimmkarten im Königsblau der Bankgesellschaft, für jede Abstimmung zwei, ja oder nein. Dahinter, auf einer höheren Ebene, schwirren lächelnde Hostessen von Stehtisch zu Stehtisch und räumen die Kaffeetasse ab, sobald der letzte Schluck getrunken ist. Gern stellen sie dem Aktionär eine Bescheinigung aus, mit der er seine Reisekosten beim Finanzamt geltend machen kann. Pauser wendet sich dem morgendlichen Imbiß zu. Es gibt, wie auf der Einladung angekündigt, Krapfen, von weiteren Hostessen auf silbernen Tabletts herangeschafft, immer wieder Krapfen, die in Berlin eigentlich Pfannkuchen heißen. Aber das hier ist gar nicht Berlin, sondern irgendein jenseitiger Ort namens Bankenmilieu, und die bevorzugte Kleidungsfarbe ist Königsblau.
Vor einigen Jahren hat Pauser geerbt. Plötzlich war er, der sich seit dem Studium mit Aushilfsjobs und kleinen Kunstprojekten über Wasser gehalten hatte, ein Habenichts mit einem dicken Konto und einem Aktiendepot. Wie hoch war denn die Erbschaft? – „Ich bin kein Millionär.“
Punkt zehn Uhr ruft der scheidende Aufsichtsratsvorsitzende Edzard Reuter auf einer weiteren, höheren Ebene des Gebäudes die versammelten Aktionäre zur Ordnung. Zuerst müssen sich alle erheben, zum stillen Gedenken an die verstorbenen Mitarbeiter. Dann erklärt Reuter, der später zum Ehrenvorsitzenden ernannt wird, in dürren Worten, warum die Bankgesellschaft trotz dramatisch veränderter Umfeldbedingungen das operativ beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt hat, in diesem Jahr aber trotzdem keine Dividende zahlt. Reuters Kopf schwimmt auf der Videowand. Der Saal ist voll besetzt, das Licht gedimmt. Jeder Platz ist mit einer ausklappbaren Leuchte ausgestattet. Wenn man die Augen ein wenig zusammenkneift, sagt Pauser, sieht es aus wie ein Meer brennender Feuerzeuge auf einem Kuschelrockkonzert. Nur der Jubel fehlt.
Seit Jahren ist das Papier der Bankgesellschaft die billigste Bankaktie Deutschlands. Das Geldinstitut spricht von Unterbewertung. Die Aktionäre sprechen von Discountaktie und vom gescheiterten Automann Reuter, der die Bankgesellschaft wie zuvor Daimler vor die Wand fahre. Ihre Empörung durchdringt alle Ebenen. Überall sind Lautsprecher angebracht, selbst auf den Toiletten. Wenn Kursentwicklung und Dividendenausschüttung zufriedenstellend wären, würden die Aktionäre die Veranstaltung mit Zeitunglesen und Kreuzworträtseln verbringen und den Saal zum Mittagessen verlassen, sobald der Vertreter der Kritischen Aktionäre bei der Aussprache ans Mikro tritt. Wenn aber der Kurs stagniert und die Dividende ausfällt, ist das angelegte Geld totes Kapital. Vor einem Jahr war die Aktie der Bankgesellschaft kurzfristig um gut zehn Euro gestiegen und sackte dann wieder auf Normalniveau ab.
Die, die nicht schnell oder mutig genug waren, den Kursgewinn zu realisieren, also zu verkaufen, sitzen jetzt hier und klagen an. Herr W. aus M. hat schon im Vorfeld einen Antrag eingebracht mit der Forderung, Reuter und all die anderen vorgeblichen Geldvernichter in Schimpf und Schande davonzujagen. Während seines Redebeitrags entgleist W. die eigene Wut. Er fletscht die Zähne und schreit, man solle die ganze Bagage zum Teufel jagen. Seine Worte gehen im schrillen Ton der Rückkopplung unter, weil das Mikro auf solche Lautstärken nicht ausgerichtet ist. Zum Schluß aber werden Aufsichtsrat und Vorstand dennoch entlastet. Von den 218 Millionen Stimmen ssind 88 Prozent präsent. Jede Aktie hat eine Stimme. Mehrheitseigner ist das Land Berlin.
Es ist stickig und unangenehm kühl. Pauser hält es keine Viertelstunde aus. Er steigt eine Ebene hinab, wieder zu Kaffee und Krapfen, und setzt sich mit durchgedrücktem Rücken auf einen der Ledersessel, die in den Ecken neben Blumenkübeln stehen. Eigentlich gehört er doch gar nicht hierher. Genausowenig wie all die anderen, die am Rand zwischen den Kübeln sitzen wie ungebetene Gäste, die sich einmal in die Aura des Geldes begeben wollten. Die Frau im Freizeitdress, die Rentner in den Tarnfarben Grau und Pastell, der Jugendliche, der aussieht, als käme er geradewegs vom Schulhof. Auch Pauser hat im letzten Sommer nicht verkauft.
as Aktiendepot, das Teil des mütterlichen Erbes war, hat er überhaupt noch nicht angerührt. Es ist nicht mangelndes Interesse. Pauser verfolgt die Kursentwicklung, er kauft sich eine Zeitung mit Börsenteil, er malt sich aus, die Geldmaschine Börse zu bedienen wie ein Meister und, wie es in unzähligen Gazetten immer wieder in Lustschreiprosa zu lesen ist, aus seinem Besitz – „soviel ist es aber auch nicht“ – Kapital zu schlagen, quasi wie im Schlaf.
Aber es gibt da eine Hemmschwelle. Eine Hemmung, mit Geld zu handeln. Weil Geld nie nur Geld ist. Weil es immer auch noch irgend etwas anderes transportiert. Macht, Sicherheit, Abhängigkeit, allerlei Gefühle. Bei Pauser könnte es Angst sein. Angst, sich die Hände schmutzig zu machen am Geld, diesem Symbol des Kapitalismus. Er, der Linksintellektuelle, der Verweigerer aus Bedürfnis, der sich jahrelang über Freunde mokiert hat, die sich, einer nach dem anderen, an konservativen Gedanken und Einstellungen abzuarbeiten begannen, nachdem sie ein gewisses Alter und einen gewissen Grad von Arriviertheit erreicht hatten. Er kann akzeptieren, daß Geldmangel sein Lebensgefühl bestimmt, nicht aber Geldbesitz.
Aber jetzt sitzt er hier, im Verein mit all den anderen Kleinaktionären, weil er sich eine Antwort erhofft, eine gute Lehre, und fühlt sich wie auf einer Butterfahrt. Seit 1996, seit dem massiv beworbenen ersten Börsengang der Telekom, wächst in Deutschland das Interesse an der Aktie, das immer mehr Fachzeitschriften und Ratgeber und eine Zeitung nach der anderen mit erweiterten Börsenteilen bedienen. An die fünftausend private Investmentclubs gibt's inzwischen, an die fünfzig studentische Börsenvereine. In großen Anzeigen werben Neuemittenten für ihre Papiere. Selbst beim Bäkker liegen Aktienprospekte zum Mitnehmen aus.
Trotzdem ist die Bundesrepublik in Sachen Aktienkultur nach wie vor ein Entwicklungsland. Nach den Erhebungen des Deutschen Aktieninstituts, der Interessensvertretung der börsennotierten Unternehmen, besitzen lediglich 4,5 Millionen Bundesbürger Anteilsscheine. Das entspricht einer Quote von sieben Prozent. In Großbritannien sind es dagegen 17 Prozent, in den USA 21, in Spanien 33, in Schweden sogar 47 Prozent. Das Aktieninstitut, der Bankenverband und all die anderen, die sich seit Jahren um die Aktienkultur in Deutschland bemühen, können sich das nicht erklären. Immer wieder weisen sie auf das niedrige Zinsniveau hin und darauf, daß das Anlagerisiko bei Aktien überschätzt wird. Und sie rechnen vor, daß Anteilsscheine eine deutlich höhere Wertsteigerung erbringen als festverzinsliche Papiere.
Trotzdem haben die Deutschen nach Angaben des Bankenverbandes nur acht Prozent ihres Geldvermögens von insgesamt 5,3 Billionen Mark in Aktien angelegt. Der größte Teil des Geldes steckt weiterhin in wenig rentablen Sparbüchern, Sparbriefen und Lebensversicherungen. „Man kann niemanden dazu zwingen, Aktien zu kaufen“, sagt Helmut Achatz vom Aktieninstitut.
Eine Kneipe in Berlin-Charlottenburg. Eine Stufe erhöht sitzt Sonja Müller, die Hände gefaltet, auf ihrem Stuhl wie auf einem Thron. Ein Blick von ihr zum Wirt, und schon eilt die Bedienung herbei, um die Bestellung entgegenzunehmen. Sonja Müller ist selbständige EDV-Spezialistin mit dem Schwerpunkt Buchhaltung, 51, geschieden, ihren inzwischen 31jährigen Sohn hat sie allein großgezogen. Seit Beginn letzten Jahres besucht sie einmal in Monat die Treffen des Investmentclubs „Berliner Aktien Ladies“, auch dies eine Art Hauptversammlung.
Sonja Müller ist die Schatzmeisterin. Sie verfolgt die Kursentwicklung, informiert die dreißig Damen bei jeder Sitzung über den Stand des Clubdepots, gibt Kauf- und Verkaufsempfehlungen. Es ist ihr Verdienst, daß der Club, obwohl während einer Haussephase der Börse und nur wenige Monate vor dem Herbstcrash gegründet, stetige Wertsteigerungen erzielt. Auch Sonja Müller hat Erfahrung mit Hemmschwellen im Umgang mit Geld. Ungebremst rann es ihr durch die Hände, floß in schicke Boutiquen, ins KaDeWe. Es hätte immer so weitergehen können. Konsumrausch, das teure Internat für den Sohn, tagelang durcharbeiten, nur minimale Rentenansprüche. Zum Mittagessen ging Sonja Müller in die Berliner Börse, saß auf der Galerie und schaute dem Parketthandel zu. Aber selbst ins Aktiengeschäft einzusteigen wagte sie nicht. Es war die Vorstellung, bei dem Glücksspiel Börse, das doch zugleich Ernst ist, nur mit sehr großen Summen mittun zu können. „Nicht das Geld ist das Problem. Für den Anfang genügen ein paar tausend Mark, bei Aktienclubs nur ein paar hundert. Man muß sich nur trauen, damit anzufangen“, sagt Sonja Müller.
Man braucht Information, Kommunikation und Zeit, Gelegenheit, eine Motivation. Wie der arbeitslose Lehrer und Hausmann, der, wenn die Kinder aus dem Haus sind, noch Zeit findet, per Computer an der Börse zu spekulieren. Wie die Friseurmeisterin, die nach anderen Geldquellen suchte, nachdem ihre Hausbank den Kredit für den Umbau ihres Salons verweigerte. Wie die Sozialhilfeempfängerin, die mit dem Mindestbetrag von monatlich fünfzig Mark in einen Aktienclub eingestiegen ist.
berlegen Sie, was Sie alles Schönes mit Geld machen können“, sagt die Betriebswirtin Anne Wulf, die sich auf die Finanzberatung von Frauen spezialisiert hat und seit 1991, „noch vor Manfred Krug und der T-Aktie“, ein gutes Dutzend Fraueninvestmentclubs gründen half. „Man muß keine Dollarzeichen in den Augen haben, um zu verstehen, daß Geld auch eine lustvolle Seite hat.“ Vor fünf Jahren kaufte Sonja Müller ihre ersten Aktien. Seitdem leert sie ihr Konto nur noch, um sich ein Papier zu kaufen, das sie schon lange haben wollte. „Es ist wie Pilze züchten“, sagt sie. „Es ist eine Sucht.“ Mindestens fünf Fachblätter geht sie jedes Wochenende durch, schneidet aus, macht sich Notizen, archiviert. Niemals würde sie einen Tag verbringen, ohne die Kurse abzufragen. Sie macht Gewinne, aber ihr Sohn warnt sie noch immer vor dem Handel mit der Aktie.
Denn in Deutschland gilt das als Risikoanlage. Mit dem Unternehmungsgeist, den man für Börsengeschäfte braucht, tun sich die Deutschen schwer. Die Unternehmen übrigens auch. Ihre durchschnittliche Eigenkapitalquote liegt bei lediglich zehn bis zwanzig Prozent. Von der Möglichkeit, sich durch einen Börsengang mit Geld zu versorgen und sich damit auch, wie Anne Wulf sagt, „aus der Umklammerung der Banken zu befreien“, haben bislang nur rund 750 Unternehmen Gebrauch gemacht. In Großbritannien und den USA sind dagegen drei- bzw. zehnmal so viele Unternehmen börsennotiert. „Unsere Aktienkultur ist noch sehr jung“, sagt Anne Wulf. Es klingt, als müsse man Nachsicht üben, wie bei einem kleinen Kind.
Die Deutschen sind eben kein Volk von Händlern. Ihr Umgang mit Geld ist ambivalent. Sie wollen es besitzen, aber die Vorstellung, sich näher mit Geld zu beschäftigen, mit Geld zu arbeiten, ist fremd. Zwischen Horten und Konsumieren ist nicht viel. Der Wunsch nach Sicherheit wird immer wieder als Faktor genannt, aber auch das ist eine zwiespältige Angelegenheit. Denn das Sicherheitsdenken endet, wenn es um Konsumkredite geht, deren Summe sich im letzten Jahr auf 24 Milliarden Mark mehr als verdoppelt hat.
Bernd Pauser hat sein geerbtes Geld sicher angelegt. Die Rendite ist schmal. Sie ermöglicht ihm, etwas weniger zu arbeiten, zwingt ihn aber auch weiterhin zu Genügsamkeit und hat ihm seine Sympathien für die neue Bundesregierung geraubt, seitdem er von den Plänen zur Halbierung des Sparerfreibetrages hörte. Über Geld mag er noch weniger sprechen als zuvor, aber er denkt noch mehr daran.
Verena Kern, 35, seit Mai 1999 taz-Inlandsredakteurin, ist die einzige in ihrem Ressort, die Zigarillos raucht und es sich auch leisten kann
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