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Deutsche Befindlichkeit heute und deutsche Kulte gestern

■ Von der Suche nach dem deutschen Sommer am Ende unserer Zeit und von der Suche nach Kult und Opfer in der Vergangenheit unseres Landes. Zwei Wege zu einer besseren Kenntnis unserer Heimat, wie sie war und wie sie ist

In Ingolstadt an der Donau gibt es eine große Autofabrik, eine legendäre Schriftstellerin (verstorben), eine katholische Universität und einige gute Bäckereien. Das stellt die Berliner Autorin Irina Liebmann bei ihrer Reise durch Deutschland fest, als sie in der Stadt landet. Marieluise Fleißer, die Schriftstellerin, kennt sie bereits, die Qualität der Backwaren und der Fabrik sind Neuentdekkungen. Ingolstadt macht frei. Endlich richtig Bayern, und noch dazu schön.

Irina Liebmann ist im Sommer 96 von Berlin gestartet, um Deutschland zu erkunden. Sie schreibt darüber radikal subjektiv, ein dauernder innerer Monolog, in den ihre Begegnungen mit deutschen Menschen und Dingen nahtlos einfließen. Ihre Sie folgt keinem besonderen Plan. Und trifft doch das Richtige. Ingolstadt ist AUDI einerseits und Marieluise Fleißer andererseits. Die Perfektion der Warenwelt, die wirklich schönen Autos und das verstörende Heimatgefühl, für das die Fleißer steht. In Berlin Lebens- und Schreibgefährtin Brechts, in ihrer Heimatstadt Ingolstadt später Betreiberin eines Tabakladens, ihrer Texte wegen ein Dorn im Auge der kraftstrotzenden Stadt. All das nimmt Irina Liebmann wahr in nur zwei Tagen. Dann fährt sie weiter nach Augsburg – wegen Brecht natürlich.

Eine ganz andere Reise unternimmt Peter Ernst. Nicht die Gegenwart Deutschlands interessiert ihn, sondern die Vergangenheit. Und zwar eine, die sich nicht ohne weiteres durch schriftliche Zeugnisse erschließt. Kult- und Opferplätze von der Steinzeit bis zum Mittelalter sind Gegenstand der von ihm konzipierten CD-ROM. Sie versteht sich nicht als Tip-Sammlung für spiritualistisch angehauchte Mitmenschen, sondern als populärwissenschaftliche Bestandsaufnahme. Alle Orte sind in Bild und Text beschrieben. Der seriöse Anspruch zeigt sich in den Kommentaren zu den einzelnen Orten. Vom Hexentanzplatz bei Quedlinburg berichtet er beispielsweise, daß – eindrucksvoll wie das 150 Meter breite flache Steingebilde auch sein mag – eine kultische Nutzung schlicht nicht nachgewiesen wurde. Martin Hager

Irina Liebmann: Letzten Sommer in Deutschland. Kiepenheuer & Witsch, 1997, 224 S., 42 Mark.

Peter Ernst: Kult-und Opferplätze in Deutschland. Theiss Verlag, CD-ROM, 68 Mark. Weitere Informationen unter www.digital-culture.de

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