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„Wir werden allmählich müde“

■  Unter den Kurden Berlins herrschen Enttäuschung und Verbitterung über den Bericht des Untersuchungsausschusses zum Blutbad am israelischen Generalkonsulat

Mit Verbitterung reagieren Kurden in Berlin auf die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zu den Hintergründen des Blutbads am israelischen Generalkonsulat Mitte Februar: „Wir wissen jetzt, dass diese Menschen umsonst gestorben sind.“

Bei der versuchten Besetzung der Vertretung hatten israelische Wachleute vier Kurden erschossen. Ferat Altas, Vorstandsmitglied des Kurdistan Kultur- und Hilfsvereins, klagt: Die Erwartung, dass die diplomatischen Todesschützen bestraft werden könnten, habe sich zerschlagen. Die Bundesregierung habe mit Rücksicht auf ihre politischen Beziehungen zu Israel keine Absicht, die Wachleute vor Gericht zu bringen. „Der Ausschuss ist nur ein politisches Spiel gewesen.“ Deshalb habe sich auch die Mehrheit der etwa 60.000 Kurden Berlins kaum für ihn interessiert.

In der kurdischen Gemeinschaft werden viele Stimmen der Enttäuschung und Resignation laut. „Wir Kurden werden allmählich müde“, sagt Altas. Seit Februar demonstriere man dafür, die kurdische Frage nicht zu vergessen, der weiter existierenden Unterdrückung ihres Volkes zu gedenken und den PKK-Führer Abdullah Öcalan in der Türkei nicht hinzurichten. „Doch es passiert nichts.“

Kader Alyousef, Schriftführer der Kurdischen Gemeinde, erklärt sich die Verbitterung unter den Kurden mit dem Ziel des Ausschusses: Er habe sich vor allem um Fragen gekümmert, die zwar möglicherweise für den Wahlkampf, aber kaum für die Kurden eine Rolle gespielt hätten: wer wann welche Hinweise auf die Gefahr erhalten habe und wer einen Aktenvermerk vernichtet habe. Die Toten am Konsulat, ihre Familien und die kurdische Frage seien dabei völlig in der Hintergrund getreten.

Völlig verschwiegen worden sei die Mitschuld auch deutscher Behörden, sagt Altlas, ebenso wie die Zusammenarbeit deutscher Stellen bei der Diskreditierung der kurdischen Sache durch türkische Agents provocateurs. Das Blutbad sei völlig in den Hintergrund gerückt und die ganze Sache zu einem „rein Berliner Problem verkommen“.

Der kurdische PDS-Abgeordnete Giyasettin Sayan, glaubt, dass sich die Kurden der Hauptstadt zumindest anfangs Hoffnung gemacht hätten, der Ausschuss oder die deutschen Behörden würden die Notwehrversion der Israelis erschüttern und die Schützen zur Verantwortung ziehen. Nach diesen Ergebnissen aber herrsche eine große Rat- und Hoffnungslosigkeit.

Ismail Kosan, kurdischstämmiger Abgeordneter der Bündnisgrünen, sagt, es sei nicht anders zu erwarten gewesen, als dass der Ausschuss für die Kurden „nichts bringt“. Die Menschen würden weiterhin keinen Unterschied machen zwischen Kurden und PKK-Anhängern. „Ich habe den Bericht noch mal und noch mal gelesen – ich werde daraus nicht schlau.“ Zwar werde die Kurdische Gemeinde in den nächsten Tagen wohl noch mal auf das Ergebnis des Ausschusses reagieren. Aber viel sei nicht zu erwarten. 85 Prozent der Kurden der Hauptstadt seien in keinem Verein organisiert. Zudem hätten die meisten Kurden andere Probleme als das Geschehen am Generalkonsulat.

Alper Baba, ein Vorstandsmitglied der Kurdischen Gemeinde, meint: Bisher habe man sich deshalb noch nicht öffentlich geäußert, da die Kurdische Gemeinde zunächst auf die Ergebnisse des Ausschusses und die Urteile in den Prozessen gegen Kurden wegen der versuchten Besetzung des Konsulats warten wollte. Zudem herrsche große Enttäuschung: „Die Toten sind Kurden, die Verletzten sind Kurden, und die Inhaftierten sind es auch.“ Möglicherweise, sagt Baba, werde es aber doch noch Gerechtigkeit geben. Die Anwälte der inhaftierten Kurden und die Familien der Erschossenen erwägen eine Anzeige gegen die israelischen Wachleute. Philipp Gessler

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