: „Oft nur mit der Brechstange“
Interview BERHARD PÖTTERund MATTHIAS URBACH
taz: Herr Loske, besitzen Sie eine eigene Waschmaschine? Oder benutzen Sie Ihre gemeinsam mit anderen, wie Sie es vor sieben Jahren in Ihrer Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ vorgeschlagen haben?
Reinhard Loske: Wir haben eine eigene. Aber wir lasten sie ganz gut aus, mit einer vierköpfigen Familie. In der Berliner Wohnung habe ich keine. Ich nehme die Dreckwäsche mit nach Hause.
Der Anlass Ihrer Studie war der Riogipfel vor zehn Jahren, der dieses Jahr in Johannesburg wiederholt wird. Zu Ihren Empfehlungen gehörte auch, Fernreisen zu meiden. Wo waren Sie denn im letzten Urlaub?
Zu Hause. Einfach aus einem Bedürfnis nach Ruhe.
Sie haben einen ungewöhnlichen Weg hinter sich: vom renommierten Wissenschaftler, der die „Bibel der Ökobewegung“ geschrieben hat, zum Umweltpolitiker im Regierungslager. Wie oft haben Sie zuletzt in Ihre Studie geschaut?
Ziemlich häufig. Ich schaue aber nicht jeden Morgen rein, um zu sehen, ob ich noch auf Kurs bin. Die Studie soll keine Bibel sein.
Wieviel – auf einer Skala von 1 bis 10 – haben Sie von Ihrer Studie in den ersten vier Jahren umgesetzt?
Das Buch hat ja einen Horizont von 50 Jahren. Wir sind also erst am Anfang der Neuorientierung. Wenn man das berücksichtigt, haben wir allen Grund zum Selbstvertrauen. Ich sage mal: 6 bis 7 von 10.
So viel?
Wir haben erstaunlich viele Vorgaben der Studie erfüllt, einige sogar übertroffen. Etwa beim Bau von Windrädern, Biomasse und Solarenergie. Da haben wir jährlich fünf Prozent Wachstum angenommen, heute sind wir deutlich drüber. Die Energiepreise sollten laut Studie um jährlich fünf Prozent angehoben werden, jetzt sind wir bei drei bis vier Prozent durch die Ökosteuer.
Einiges läuft viel schlechter als verlangt: Sie wünschten sich als Wissenschaftler hundert Prozent Ökolandbau bis 2010.
Nicht ganz: Unsere Frage war, ob es möglich ist, die Bevölkerung komplett aus ökologischem Landbau zu ernähren. Das konnten wir mit Ja beantworten. Daraus haben wir abgeleitet, bis 2010 umzustellen, was uns großen Ärger einbrachte. Bis zur BSE-Krise waren auch in dieser Regierung kaum Ansätze dafür da, die Landwirtschaft umzustellen.
Sie wollten auch die Energiekonzerne zu Energiedienstleistern umstrukturieren – daran hat sich Rot-Grün die Zähne ausgebissen.
Die Energiepolitik ist das Paradepferd von Rot-Grün. Wir haben bei den erneuerbaren Energien einen Riesenschub ausgelöst.
Die Stromkonzerne haben den Grünen die erneuerbaren Energien als Spielfeld überlassen. Überall dort, wo es den Stromkonzernen wirklich an den Umsatz geht, bremste der Wirtschaftsminister.
Das stimmt nicht. Sowohl die Altbausanierungsprogramme als auch die Energieeinsparverordnung bringen einen deutlichen Spareffekt. Auch wenn ich mir die Verordnung strenger hätte vorstellen können. Aber vergessen Sie nicht: In unserer Studie erklärte die Wissenschaft, was machbar ist. Als Politiker müssen Sie beachten, was auch durchsetzbar ist.
Was ist denn Ihr Lieblingskind?
Ganz klar: die Ökosteuer. Nicht nur von ihrem Gehalt – auch von dem Wirbel her, den sie ausgelöst hat. Sie ist ein Stachel im Fleisch. Und inzwischen ein Markenzeichen der Grünen. Es ist in der Umweltpolitik eben nicht alles easy und win-win.
Was schätzen Sie noch?
Zwei Sachen: das Bundesnaturschutzgesetz …
… das der Bundesrat gerade im Vermittlungsausschuss klein hackt …
… nein, nein. Wir kriegen das hin. Es wird nur ein paar kleinere Zugeständnisse geben. Außerdem freue ich mich über die ökologisch-ethische Berichtspflicht in der privaten Altersversorgung. Die Fondsgesellschaften müssen jetzt angeben, ob sie ethisch investieren. Ein kleines Projekt, aber es beweist, dass wir nicht bei der klassischen Umweltpolitik stehen bleiben.
Den Atomausstieg nennen Sie nicht.
Rational betrachtet ist er ein großer Erfolg und im internationalen Vergleich einzigartig. Nur ist der Unterschied zu dem, was wir früher gesagt haben, einfach zu groß.
Was von diesen vier Themen wird eine Wahlniederlage überleben?
Den Neuanfang zu retten ist natürlich unser wichtigstes Wahlkampfargument.
Sie werden also den Teufel an die Wand malen müssen?
Ich will nicht in Alarmismus verfallen. Aber eine Konstellation Stoiber/Westerwelle wäre sicher katastrophal für die eingeleitete Energie- und Agrarwende.
Was war denn aus Ihrer heutigen Sicht naiv an der Studie?
Das naivste an der Studie war die Vorstellung, die ökologische Wende könne im Konsens geschehen. Vielleicht entsprach das dem harmonischen Klima im Wuppertal Institut. Die Lehre aus drei Jahren Regierung ist aber, dass einem die Lobbyinteressen sehr zusetzen. Oft ging es nur mit der Brechstange.
Sie haben sich nicht nur verschätzt, was die Lobbys können, sondern auch, was die Bürger zu ertragen bereit sind.
Ich habe unterschätzt, wie primitiv die Opposition vorgeht. In der Union gibt es ja keine Umweltpolitiker mehr. Da wurde unglaublich brutal in einer Koalition mit der Bild-Zeitung, dem ADAC und dem BDI vorgegangen.
Wir haben den Eindruck, dass sich das Verhalten der Bürger nur nach Krisen ändert: Waldsterben, Tschernobyl, BSE.
Ich beobachte da eine Veränderung. Wir reden nicht mehr nur über Krisen und Verzicht. Nehmen wir den Streit um die Dose. Das ist längst keine ökologische Frage mehr, sondern eine kulturelle. Wollen wir eine Wegwerf- oder eine Kreislaufwirtschaft sein? Wollen wir mittelständische Brauereien oder monopolistische Strukturen und das Einheitsbier? Ökologische Argumente werden eher gehört, wenn man sie mit Fragen des Lebensstils verknüpft.
Aber die Krisen haben den Grünen doch stets geholfen.
Stimmt. Aber eine Krise nutzt nichts, wenn das Neue nicht vorbereitet ist. Veränderung speist sich aus vielen Quellen.
Sie meinen: Ohne die Bioläden gäbe es heute keine Agrarwende?
Ja, und ich würde dringend davor warnen, wenn die Grünen meinen, dieses traditionelle Milieu hinter sich lassen zu können.
Vermissen Sie die Wertkonservativen?
Ich habe selbst starke wertkonservative Gene. Wir Grünen müssen aufpassen, dass wir nicht langsam zu brav werden.
Beeinträchtigt das bereits grüne Politik?
Ethische Argumente, wie Nord-Süd-Gerechtigkeit galten auch bei uns als alt und überkommen. Erst mit dem Afghanistankonflikt wurde wieder klar, dass der Nord-Süd-Konflikt einen ganz harten materiellen Gehalt hat. Die Wertkonservativen, etwa die Kirchen, gewinnen in der Gesellschaft an Gewicht – übrigens auch bei der Gentechnik.
Wie steht es mit den Globalisierungsgegnern bei Attac?
Attac hat in der Ökologie einen großen weißen Fleck. Die sieht das als reine Verteilungsfrage.
Dafür sieht Attac das System kritischer. Ist der Kapitalismus mit seiner Wachstumslogik überhaupt zukunftsfähig?
In der Studie haben wir gesagt: Gut leben statt viel haben.
Freuen Sie sich über die lahmende Konjunktur?
Das wäre wohl zynisch. Die Frage ist ja: Was soll wachsen? Früher sprach man vom qualitativen Wachstum: Erneuerbare Energien sollen ja wachsen, der Markt für gesundes und schmackhaftes Gemüse auch. Es geht darum, wie wir die Subventionen lenken. Leider gibt es im politischen Berlin keine Sensibilität mehr für Wachstumskritik.
Mit ihrer neuen Nachhaltigkeitsstrategie hat die Bundesregierung einen ähnlichen Ansatz gewählt wie Ihre Studie.
Das sind viele positive Ansätze drin. Bei Energie, Landwirtschaft und Verkehr sind ambitionierte Punkte genannt. Was sicher fehlt, ist ein klares Klimaziel für die Zeit nach 2010: eine Kohlendioxidminderung um 40 Prozent bis 2020. Aber als ich es las, war ich erstaunt über die Qualität. Gut finde ich auch den sozialen Ansatz, dass auch Bildungsziele genannt werden, etwa Gerechtigkeit beim Zugang zum Studium.
Ursprünglich definierte sich Nachhaltigkeit aus dem Zusammenspiel von Wirtschaft, Sozialem und Umwelt. In der regierungsamtlichen Nachhaltigkeitsstrategie kommt das Wort „Umwelt“ gar nicht mehr vor.
Die Tatsache, dass die Ökologie nicht mehr vorkommt, ist natürlich nicht angemessen. Die Anerkennung der Grenzen dessen, was die Erde verkraften kann, gehört dazu. Das Konzept darf nicht unter der Hand umdefiniert werden.
Ist das die Sozialdemokratisierung der Nachhaltigkeit?
Inzwischen hören wir den Begriff fast nur noch aus der Finanzpolitik. Im Grundsatz ist das okay: Wir müssen nur aufpassen, dass der Begriff nicht von der Gegenseite gekapert wird. Über umweltschädliche Subventionen wird gar nicht mehr geredet. Ein Haushalt ist aber erst dann nachhaltig, wenn die gestrichen sind.
Sie haben sich als Grüne den Begriff klauen lassen.
Ach was! Die Kernkompetenz der Grünen ist doch klar: Wir sind die Umweltpartei.
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