piwik no script img

Reform notwendig

Passend zum erwarteten Scheitern des NPD-Verfahrens stellt die grüne Innenpolitikerin Silke Stokar Reformideen für den Verfassungsschutz vor

Interview CHRISTIAN RATH

taz: „Die Geheimdienste insgesamt stellen eine Gefahr für die Demokratie dar. Sie müssen deshalb aufgelöst werden.“ So lautete noch 1994 das Wahlprogramm der Grünen. War das damals falsch?

Silke Stokar: Die Auflösung der Geheimdienste ist ein langfristiges Ziel. Ich kann mir eine geheimdienstfreie Gesellschaft durchaus vorstellen. Jetzt geht es aber um die Reform der Dienste und das setzt ihre Anerkennung voraus.

Haben die Grünen denn ein Reformkonzept?

Es gibt noch kein fertiges Konzept. Auf jeden Fall muss jedoch die jetzige Struktur mit 16 Landesämtern und einem Bundesamt kritisch geprüft werden. Die vorhandenen Informationen müssen in einer zentralen Stelle zusammenlaufen. Die Aufgaben der 16 Landesämter sind zu reduzieren.

Warum?

Die jetztige Konstellation ist nicht effizient. Diese 17 Ämter haben ein destruktives Konkurrenzverhältnis zueinander und schotten ihre Informationen gegeneinander ab, wie wir im NPD-Verfahren gesehen haben. Das kann so nicht fortgesetzt werden.

Was sollen die Landesämter dann machen?

Sie sollen sich auf örtliche Phänomene und die Beratung von Politik und Öffentlichkeit konzentrieren. Wenn irgendwo auf dem flachen Land eine rechte Jugendszene entsteht, dann ist die Polizei oft mit der Einschätzung überfordert. Hier ist der Verfassungsschutz mit seinem Hintergrundwissen gefragt. Ist das einfach nur eine schwadronierende Bierclique? Oder steckt da eine straffe Anleitung dahinter, zum Beispiel weil ein Nazi-Kader in die Gegend gezogen ist?

Wie wollen Sie die Länder dazu bringen, die Verfassungsschutzämter zurückzubauen? Das könnte der Bundestag ja nicht einfach beschließen.

Richtig. Da muss es Gespräche auf Bund-Länder-Ebene geben. Aber ich vertraue darauf, dass die Länder angesichts ihrer Haushaltsprobleme auch Chancen darin sehen.

Was ist mit den übrigen Diensten, zum Beispiel dem Militärischen Abschirmdienst?

Ob wir einen eigenständigen MAD noch brauchen, bezweifle ich. Vermutlich kann man den geheimdienstlichen Schutz der Bundeswehr in Verfassungsschutz und BND eingliedern.

Ihr SPD-Kollege Dieter Wiefelspütz hat gerade eine Reformkommission für die Geheimdienste gefordert, ebenso die Grünen im letzten Bundestagswahlkampf.

Wichtig ist vor allem, dass die Reform der Geheimdienste im Parlament angesiedelt ist. Es genügt aber, wenn in die Arbeit der Fraktionen Sachverständige eingebunden sind. Die Reform muss ein offener und transparenter Prozess sein.

Eine zentrale grüne Forderung ist die Schaffung eines Geheimdienstbeauftragten. Welche Aufgaben soll diese Person erhalten?

Es kommt mir nicht so sehr auf die Schaffung eines neuen Amtes an. Entscheidend ist, dass die Kontrolle der Geheimdienste effizienter wird. Aus meiner Sicht genügt es, wenn die bestehenden parlamentarischen Kontrollgremien auf mehr Zuarbeit zurückgreifen können. Da findet manches ja noch ehrenamtlich statt.

Sie meinen das G-10-Gremium, in dem von den Fraktionen benannte Experten sitzen?

Die machen eine wichtige Arbeit, aber sie brauchen auch einen vernünftigen Apparat.

Im NPD-Verfahren haben die staatlich bezahlten Spitzel mehr geschadet als genutzt. Soll der Verfassungsschutz weiter mit V-Leuten arbeiten?

Auf den Einsatz von V-Leuten sind wir angewiesen. Nur durch frühzeitige Informationen können schwere Anschläge verhindert werden. Aber bei der V-Leute-Gewinnung und -Führung müssen die Dienste professioneller werden. Wenn Informanten des Verfassungsschutzes den gesamten Vertrieb von Gewalt verherrlichenden Skinhead-CDs organisieren, dann stimmt etwas nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen