piwik no script img

Eine Päpstin des europäischen Rechts

Juliane Kokott geht als Generalanwältin an den EuGH nach Luxemburg. Angela Merkel hätte CDU-Mann vorgezogen

Wollte sie als Kind wirklich Päpstin werden? Ja, das sei richtig, sagt die Juristin Juliane Kokott. Doch es ist ihr peinlich, dass nun kein Porträt mehr ohne dieses Bonmot auskommt. Sie kann ja nichts dafür, dass ihre Kleinmädchen-Idee ein Ding der Unmöglichkeit war und ist.

Mit derselben Unbekümmertheit wurde Kokott später Professorin für Staatsrecht. Das ist für Frauen zwar nicht verboten, aber dennoch gibt es in Deutschland immer noch sehr wenige. Und diese werden oft schnell in hohe Justizämter berufen, etwa ans Bundesverfassungsgericht oder – wie Juliane Kokott – an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Seit gestern arbeitet Kokott dort als Generalanwältin. In 50 Jahren EuGH-Geschichte ist sie erst die dritte Frau auf einem der acht Posten.

Der EuGH, der das EU-Recht auslegt, besteht aus 15 Richtern und 8 Generalanwälten. Für den Posten des Generalanwalts gibt es an deutschen Gerichten kein Pendant. Er ist unparteiisch und bereitet die Urteile des Gerichtshofs durch ein Gutachten vor. Das Amt verbindet juristischen Einfluss mit wissenschaftlicher Freiheit. Meist folgt der EuGH den „Schlussanträgen“ seiner Generalanwälte.

Juliane Kokott ist 46 Jahre alt, war Professorin in Augsburg, Heidelberg, Düsseldorf und Sankt Gallen. Sie ist verheiratet und hat fünf Kinder. Seit ihrer Habilitation beim Heidelberger Völkerrechtler Karl Doehring gilt sie als eher konservative Juristin.

Dennoch macht es Sinn, dass die parteilose Juristin nun auf Vorschlag einer rot-grünen Bundesregierung nach Luxemburg berufen wurde. Für die wichtigsten deutschen EU-Posten besteht ein ungeschriebener Proporz. Derzeit gehören die beiden Kommissare (Günter Verheugen und Michaele Schreyer) wie auch die Richterin Ninon Colneric zum rot-grünen Lager, also blieb für die CDU/CSU nur der Posten des Generalanwalts. Und dort saßen in den letzten zwanzig Jahren auch stets verdiente CDU-Abgeordnete.

Diesmal schlug Angela Merkel den Abgeordneten Peter Altmaier vor, einen noch relativ jungen Freigeist. Doch die Bundesregierung entschied sich im Juni für Juliane Kokott. Kanzler Schröder begründete dies in einem Schreiben an Merkel mit der „umfassenden wissenschaftlichen Qualifikation“ Kokotts. Manche in der CDU sehen damit den Proporz aufgekündigt und wollen nach einem Regierungswechsel auch keine rot-grünen Vorschläge mehr berücksichtigen. Öffentliche Proteste gegen Kokott gab es aber nicht. Sie wären auch kaum zu vermitteln gewesen.

Von der Regierung Kohl wurde Juliane Kokott 1996 in den Beirat „Globale Umweltveränderungen“ berufen. Die deutsche Klimapolitik steht nach ihrer Ansicht noch relativ gut da, die Förderung regenerativer Energien befürwortet sie ausdrücklich.

Juliane Kokott ist eine moderne Konservative. Das unterstrich sie auch vor wenigen Tagen bei der Jahrestagung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Die alte Vorstellung von der staatlichen Souveränität sei „überholt“, so ihre These. Die Nationalstaaten seien nicht mehr autonom, sondern in eine internationale Ordnung eingebunden. Ihr Lehrer Karl Doehring sieht diese Entwicklung „mit Trauer“, denn der Mensch werde heimat- und wurzellos. Nein, widersprach Kokott, Menschen und Unternehmen gewönnen neue Freiräume. Diese wird sie nun in Luxemburg mitgestalten. CHRISTIAN RATH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen