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Angelas neue Welt

Die alten Rezepte der Ära Kohl/Blüm taugen nicht mehr, meint die CDU-Basis und folgt ihrer Chefin

aus Düsseldorf LUKAS WALLRAFF

Um zehn nach zehn hält es Generalsekretär Laurenz Meyer nicht mehr aus. Drei Stunden wird nun schon diskutiert auf der ersten Regionalkonferenz der CDU zu den Sozialreformen. Unten im Saal hat sich gerade ein Anhänger von Exminister Norbert Blüm zu Wort gemeldet. Er schimpft über die Parteiführung, die erst spät am Abend die kleinen Leute von der Basis sprechen lasse. „Das ist nicht mein Demokratieverständnis“, ruft der Betriebsrat – und erntet spärlichen Applaus im nur noch halb gefüllten Saal.

Meyer klatscht nicht. Er hat keine Hand frei. Der Generalsekretär zündet sich die erste Zigarette an. Wenn er sich so etwas schon anhören muss, will er sich wenigstens eine Marlboro gönnen. Parteichefin Angela erträgt den Qualm gelassen, so wie sie auch die Beschwerden des Betriebsrats ruhig über sich ergehen lässt. Die meisten Kameras sind abgeschaltet, die große Show ist längst vorbei – und Merkel hat den „Showdown“ (Rheinische Zeitung) mit ihrem lautesten Kritiker gewonnen.

Merkel gegen Blüm – das versprach spannend zu werden. Der Exsozialminister hatte die Merkel-Herzog-Pläne zum Umbau der Sozialsysteme als „fundamentalen Angriff auf die Grundlagen unseres Sozialstaates“ gegeißelt. Kopfpauschalen statt solidarischer Krankenkassen, Privatisierung statt paritätisch finanzierter Pflegeversicherung – für Blüm ein Albtraum. Bei der ersten von sechs Regionalkonferenzen in seinem Heimatbezirk Nordrhein-Westfalen, wo er einst Landeschef und CDU-Spitzenkandidat war, wollte Blüm „für meine CDU kämpfen“.

Blüm hat hat es versucht. Und bitter Recht behalten. „Die Welt der Angela Merkel ist nicht meine CDU“, stellte er vorher fest. Nun muss sich Blüm von einem Parteifreund aus der letzten Reihe anhören: „Vielleicht ist die Welt des Jahres 2003 auch nicht mehr die Welt des früheren Sozialministers.“ Haha. Die Reaktion im Saal: höhnisches Gelächter. Die Reaktion auf Blüms eigenen Wortbeitrag: Pfiffe, ein bisschen Beifall und viel Mitleid. „Warum tut er sich das an?“, fragt sich ein CDU-Mitglied im Foyer. Blüm sei eben „mit dem Herzen dabei“, sagt seine alte Weggefährtin Christa Thoben, die nach ihm spricht. Aber auch er müsse einsehen, dass die Welt sich ändert.

„Früher hat er die Säle mit seinem Stil begeistert“, erinnert sich der Freund im Publikum. Heute steht Blüm mit hochrotem Kopf am Rednerpult und wehrt sich gegen Zwischenrufer: „Ihr werdet mich doch in Ruhe ertragen können.“ Blüms Vortrag ist, nun ja, wirr. Der kleine alte Mann ist sichtlich aufgewühlt. Ernst gemeinte Sorgen mischen sich mit gekränkter Eitelkeit.

Was die Parteichefin über die von ihm einst eingeführte Pflegeversicherung sagte („gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“), nennt er „salopp“ und „snobistisch“. Und von so einem „Dahergelaufenen“ wie Fraktionsvize Friedrich Merz brauche er, Blüm, sich nicht vorhalten zu lassen, er habe sozialdemokratische Politik betrieben. Schließlich sei er es doch gewesen, der zu seiner Zeit „die meisten Proteste bekommen“ habe. Von der SPD.

Was Blüm zu den neuen Plänen der CDU inhaltlich zu sagen hat, geht unter. Obwohl er ausspricht, was viele denken. Er glaube nicht an den versprochenen sozialen Ausgleich für die teuren Kopfpauschalen über das Steuersystem. „Da könnt ihr noch so viel reden.“ Am Ende würden die Geringverdiener draufzahlen. Da nicken auch viele von denen, die Angela Merkel gerade noch bejubelt hatten. Doch um wirklich zu überzeugen, hätte Blüm auch sagen müssen, was er anders machen würde. Vielleicht weiß er es nicht. Vielleicht hat er es in der Aufregung vergessen. Am nächsten Tag jedenfalls wird NRW-Landeschef Jürgen Rüttgers im Radio sagen: „Norbert Blüm muss aufpassen, dass er nicht zum Oskar Lafontaine der CDU wird.“

Die Parallele zum SPD-Rebellen ist gemein. Blüm ist nicht davongelaufen. Blüm wurde einfach überrollt – von einer perfekten Strategie der CDU-Spitze.

Mit ihrer Grundsatzrede zum Tag der Deutschen Einheit hatte Merkel alle überrascht: Die skeptische Presse und die Parteibasis, die endlich das Gefühl bekamen, die CDU-Chefin habe mehr zu bieten als Machttaktik. Nach dem deutlichen Votum für die Herzog-Pläne im CDU-Vorstand war klar, wohin die Reise geht. In Düsseldorf geht Merkel geschickt auf letzte Bedenkenträger ein, preist die „sozialen“ Effekte des geplanten Sozialausgleichs durch neue Steuern und fragt rhetorisch: „Ist das Verrat am christlichen Menschenbild?“ Natürlich nicht, behauptet Merkel – und bekommt Standing Ovations.

Den Rest besorgt Generalsekretär Meyer, der die 1.200 CDU-Mitglieder im Saal mit Daten, Fakten, Dias einlullt. Wer will da noch energisch widersprechen? Blüm allein ist überfordert. Sein Nachfolger als Chef der CDU-Sozialausschüsse, Hermann-Josef Arentz, will seine Karriere nicht gefährden, fasst sich kurz und mahnt nur „Korrekturen“ an.

Merkels Berater haben den Abend als „erfolgreich“ abgehakt. Widerstand aus der eigenen Partei ist kaum noch zu erwarten. Auch Meyer dürfte mit seinen Gedanken längst woanders sein, während er an seiner Zigarette zieht: bei der CSU in Bayern.

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