Die regierende Opposition

Rot-Grün, wir danken dir (5): Spontanpolitik, Krisenverwaltung – einmal aber setzten sich Schröder und Fischer an die Spitze der Zivilgesellschaft

Bei aller Häme in Richtung Rot-Grün, die gegenwärtig zu Discountpreisen angeboten wird, muss vielleicht daran erinnert werden, dass Handlungsspielraum nicht gerade zu den Aktiva dieser Regierung zählte. Die ökonomische „Großwetterlage“, die Bedingungen der „Weltinnenpolitik“, die „demografische Krise“ – nur selten durfte Rot-Grün effektvoll in souveränen Gesten schwelgen. Zumal entgegen dem ewigen Menetekel einer 68er-Medienmafia letztlich nur eine Hand voll von Medienorganen die Politik von Schröder, Fischer und den anderen kontinuierlich unterstützt haben, und sei es zu dem alleinigen Zweck, die neoliberalen Aspekte dieser Politik zu feiern. Auf der anderen Seite konnten sich die Regierenden der Ablehnung durch die privaten Fernsehsender und einen Großteil der Presse gewiss sein.

Auch eine solide Mehrheit in den Parlamenten der Republik wollte sich nie ergeben, und die demoskopischen Werte vermittelten allenfalls sporadisch ein Gefühl der Macht-Sicherheit (mit Ausnahme von Fischer, langjährigem Spitzenreiter in der Kategorie „beliebtester Politiker“, bis Wulff ihn überholte). So regierte Rot-Grün im Modus der gebundenen Hände. Seit bereits 1999 die – wohl immer schon illusionäre – Hoffnung auf einen grandiosen Politikwechsel nach Kohl durch den Verfassungsbruch der Beteiligung am Kosovokrieg und das Scheitern einer grundlegenden Erneuerung des Staatsbürgerrechts aufgegeben werden musste, schleppte man sich von Zugeständnis zu Kompromiss zu Panne zu Fehler zu Kabinettsumbildung zu Zugeständnis. Eingekeilt zwischen den Klientelgruppen (die „Basis“, das „Milieu“, die „Wirtschaft“ usw.), mussten immer neue Kommissionen immer neue Begriffe generieren („Ich-AG“, „1-Euro-Job“, „Arbeitslosengeld II“ usw.), die in erster Linie noch mehr Unsicherheit schufen. Denn über die grell-trübe Mischung aus personalisierter Spontanpolitik und bloßer Krisenverwaltung konnte die viel besungene Schröder-Fischer-Mediokratie letztlich kaum hinwegblenden.

Nur wenn die Regierung gewissermaßen in die Opposition wechselte, also staatstragend Machtkritik übte, änderte sich kurzzeitig etwas an der Misere, als die das Regieren allenthalben erlebt und repräsentiert wurde. Zustimmung für das „rot-grüne Projekt“ ließ sich mobilisieren, als es Schröder 2002/2003 gelang, sich mit der Weigerung, am Krieg gegen den Irak teilzunehmen, an die Spitze der Zivilgesellschaft zu setzen – und damit im Vorbeigehen deren Funktion einer außerstaatlichen Instanz noch weiter aushöhlte.

Nun wäre es wohl verkehrt, diesen Pazifismus von oben auf wahltaktischen Populismus zu reduzieren. Trotzdem bedeutete Schröders Absage an Bushs imperiale Kampagne auch, dass danach einer Kritik, die sich nicht nur gegen die USA und ihren „War on Terror“, sondern auch gegen die Globalisierung der deutschen Interessen bei zunehmender Verstrickung der Bundeswehr in Out-of-area-Einsätze wendete, stets unter Berufung auf den erklärten Friedenswillen der Regierung die Mikrofone abgedreht werden konnten. Eine breite öffentliche Diskussion über die Militarisierung der Außenpolitik, blühende Waffenexporte oder die Hofierung fragwürdiger Regime wie Putins Russland wurde jetzt noch unwahrscheinlicher, als sie es zuvor schon gewesen ist. Die Krise der Linken hat viele Gründe, aber das ist einer von ihnen: Wer sozialdemokratisch-grüne Werte zu verkörpern behauptet wie diese Regierung, macht sich seine linke Opposition eben lieber gleich selbst. TOM HOLERT