piwik no script img

Freakige Trauertracht

Als Auftakt für ein deutsch-japanisches Austauschprojekt sind Studenten der UdK aufs Land gefahren, haben alte Trachten wieder ausgegraben, nachgeschneidert und sie mit Gerüchen versehen

VON JAN KEDVES

Es muss einigermaßen ernüchternd sein, einen der hart umkämpften Studienplätze am Institut für experimentelles Textil- und Bekleidungsdesign der Universität der Künste zu ergattern, um dann im Grundstudium gesagt zu bekommen, man solle doch, bitte schön, mal in den Spreewald fahren, sich dort nach traditionellen Trachten umschauen und diese kopieren. Eins zu eins. Ganz ohne jegliches Experiment.

Genauso ging es elf Studenten der UdK – ausgewählten Studenten allerdings, immerhin bildete die Beschäftigung mit traditionellen deutschen Trachten nur den ersten Teil des Projekts „Nichi-Doku, deutsch-japanisch“, eines Designaustauschs zwischen deutschen und japanischen Studenten, in dessen Rahmen die Teilnehmer auch das jeweils andere Land bereisen werden. In Dörfern nach alten Trachten zu forschen, die nur zu bestimmten Anlässen getragen werden – „Truhentrachten“ gewissermaßen –, stellt bereits eine besondere Herausforderung dar.

Erschwerend kam für die Studenten dann noch die Aufgabe hinzu, zu jeder Tracht auch noch einen passenden Duft zu entwickeln – was sich dann auch für die Präsentation als schwierig erwies: Hätte man die elf Trachten, die unter anderem aus dem Simonswald im mittleren Schwarzwald, aus dem Berchtesgadener Land und aus Vierlanden bei Hamburg stammen, mit ihren jeweiligen Bouquets zusammen in einen Raum gestellt, hätte sich dort ein höchst betäubender Gestank aus Heu, Zitronen, Rosen, Matsch, Weihrauch, Wiese, Zimt und Harz zusammengebraut. So stehen im Präsentationsraum der Arbeitsstelle Designtransfer der UdK nun acht giftgrüne Holzhäuschen, deren Türen man öffnen muss, um die darin aufgestellten Trachten begutachten und beschnüffeln zu können.

Ganz unterschiedliche Dramen spielen sich in diesen Häuschen ab. Die Spreewälder Kirchgängerin mit ihrer schwarzen Nonnenhaube etwa steht in einem Meer von Dornenrosen und muss eine süßliche Duftwolke ertragen, die in der Nase beißt und Beklemmungsgefühle verursacht. Auch in anderen Verschlägen offenbart sich Unheilvolles: Der mit weißen Handschuhen, bunten Kugeln und allerhand Zierrat behängte Schwälmer Bräutigam bringt zur Hochzeit zum Beispiel schon mal das bunte Tuch mit, in das seine Angetraute ihm später mal die Babys wickeln soll, während das aus dem Spreewald stammende Schleifer Bescherkind, das in der Adventszeit die Kinder beschenkt, sein Gesicht vollständig unter einer dicht gehäkelten weißen Haube verbirgt – was dann doch recht unheimlich wirkt und sich auch in einem modernen Horrorfilm gut machen würde.

So entpuppen sich die alten Trachten als um einiges faszinierender und freakiger als vermutet und ihren aktuellen Nachfahren, der Tracht der Schranztechno-Fans beispielsweise oder der schwuler Ledermänner, als durchaus ebenbürtig. Einziges Manko bleibt, dass die weißen, vermutlich aus den tiefsten Achtzigern stammenden Schaufensterpuppen, an denen die Trachten präsentiert werden, doch eher ungeeignet wirken: Damenhaft abgewinkelte Handgelenke stehen der gerade um ihr verstorbenes Kind schluchzenden Schwälmerin in ihrer schwarzen Trauertracht ebenso wenig wie verwegen über die Stirn gewischte Poppersträhnen dem Berchtesgadener Landburschen in seiner Hirschlederbux. Unwahrscheinlich, dass ausgerechnet dies Ausdruck des Wunschs nach einer ironischen Brechung sein soll, den einige Teilnehmer verspürt haben mögen, als sie zum Trachtenkopieren aufs Land geschickt wurden.

„Nichi-Doku“, bis 12. 8., Designtransfer, Einsteinufer 43–53, Di.–Fr. 13–18 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen