: Merz is a bore
■ Eine Inszenierung pathetischer Referenzen
Von Michael Stoeber
Wegen dieser Ausstellung im Kunstverein Hannover, dem Haus mit der neugotischen Fassade und dem Löwenportal, sollen schon einige Mitglieder ihren Austritt erklärt haben. Sei's drum. Zwar pflastern nicht gerade Leichen den Weg den Gerhard Merz, aber wo der Künstler seinen Auftritt hat, da werden die Reihen kunstbeflissener Zuschauer licht oder schließen sich um so fester zusammen. Wütender Widerspruch und aggressive Ablehnung, aber auch kniefällige Zustimmung und lautstarker Applaus begleiten ihn.
Was gibt es zu sehen?
Vor dem Haus begrüßen den Kunstfreund flatternde rote Fahnen mit dem berühmten schwarzen Quadrat von Malewitsch. Wer im Haus die sich zu einem begehbaren Rechteck formierenden Räume des Kunstvereins betritt, findet sich im ersten Raum einem Motto gegenüber, in riesigen schwarzen Versalien auf die Wand gebracht: DEN MENSCHEN DER ZUKUNFT. Das „a premiere vue“ ominöse Satzfragment verweist auf den programmatischen Titel eines Buches von Piet Mondrian, für das Laszlo Moholy-Nagy 1926 diesen Schriftzug aus Blockbuchstaben entwarf.
Während der Kunstfreund noch über solches Tun nachsinnt, erreicht er den nächsten völlig leeren Raum. Verdutzt schaut er sich um. Hier gibt es nach dem Willen von Meister Merz nichts. Vielleicht soll hier eine Poesie der Leere, die Rhetorik der Stille entdeckt werden, vielleicht auch die Verschränkung von Innen und Außen. Der Blick fällt fast zwangsläufig durch die hohen Fenster auf die eher stille Straße, von der, frei nach Boccioni, der Lärm nicht ins Haus dringt.
Im nächsten Raum wird die Dialektik von Innen und Außen dagegen augenfällig. Nachdem der Besucher zwei Stufen genommen hat, prallt er gegen die Wand eines akkurat aufgemauerten rechteckigen Ziegelbaus, dessen Dimensionen, beinahe zwölf Meter lang, fünf Meter hoch und drei Meter breit, den Raum zu sprengen scheinen. Für den 30 Tonnen schweren Bau, der keinen anderen Zweck erfüllt als den, da zu sein, wurde der Boden durch eine aufwendige Stahlkonstruktion verstärkt. Eckehard Schneider, der Direktor des Kunstvereins, preist die untadelige Arbeit der Maurer aus Amsterdam, verweist stolz auf die fehlerfreie Schattenfuge des Kubus und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Format der rot-blauen Klinker. Kohlebrand-Ziegel, wie sie schon der Bauhausarchitekt Mies van der Rohe benutzt habe.
Nachdem der Besucher geduckt um den Baubrocken geschlichen ist, kann er sich im nächsten Raum wieder aufrichten und aufatmen. Hier gilt es eine Monochromie zu passieren: 28,03 Meter lang, 2,30 Meter hoch, aus lampenschwarzem Pigment, an Ad Reinhardt erinnernd, im Kreuzstrich direkt auf die Wand gesetzt und durch zwei glänzende Edelstahlstäbe präzise und dekorativ gegliedert.
Das anschließende „Studiolo“ zeigt Atelier und Werkzeug des Künstlerarchitekten. Eine blank polierte Reißschiene auf grauschimmernder Zeichentischplatte, deren Maße Merz im Format eines monochromen ockerfarbenen Tafelbildes wiederholt. Die Promenade findet ihren Abschluß vor vier Sätzen aus dem Eupalinos-Dialog von Paul Valery - wieder schwarze, diesmal schlanke Temperaversalien auf elfenbeinfarbener Wandfarbe, in denen der Künstlerarchitekt Eupalinos die Geheimnisse der Klarheit beschwört.
Was will Merz?
Merz malt von Kindheit an. Der Vater, Architekt, trainiert Merz früh in exaktem Zeichnen. Als Merz 1969 nach sechs Semestern die Graphikerschule verläßt und zur Münchner Kunstakademie überwechselt, hört er auf zu malen. Als Semesterbericht reicht er 1971 nur ein Photo ein. Es zeigt einen Stapel Bücher. Unten Piero della Francesca, dann Caspar David Friedrich, Seurat und Mondrian, darüber Max Benses „Aesthetika“, Andre Malraux, Levi-Strauss, zuoberst Wittgenstein. Wirklichkeitsdarstellung mit traditionell malerischen Bildkonzepten, ob gegenständlich ober abstrakt, ist Merz unmöglich geworden. Das erste Bild, das er später wieder malen wird, ist eine vierteilige Monochromie.
1986 hat Merz eine Ausstellung in der Kunsthalle Baden -Baden. Ein Raum wie ein Tempel versammelt an seiner Stirnwand die Namen der Künstler in kostbaren Lettern von Boccioni über Rodtschenko bis Pollack, Warhol und Judd, die für Merz Säulenheilige der Moderne sind. Für Merz, an dem Bazon Brock eine „schöpferische Phantasielosigkeit“ gerühmt hat, geht es nicht darum, in der Kunst Neues zu entdecken. Das Wort Kreativität reizt ihn zu Bauchschmerzen. Zitat: „Kreativität ist etwas für Friseure, nicht für Künstler.“ Für ihn geht es darum, „Getanes zu vollenden“. Er glaubt an keinen Fortschritt in der Kunst, keine lineare Entwicklung. Kunstformen sind für ihn wie Naturformen. Es geht nicht um „Form-Erfindung“, sondern um „Form-Findung“. Beim Barcelona -Pavillon Mies van der Rohes sind, so glaubt er, die gleichen Kräfte am Werk wie beim Parthenon. „Kunst kommt immer nur von Kunst.“
Maß, Farbe, Licht sind entscheidend. Wenn man sie gelingend aufeinander bezieht, setzt man nur fort, was andere Künstler schon getan haben. Das Wichtigste ist für den bildenden Künstler, den Zusammenhang mit der Architektur nicht aus den Augen zu verlieren. Merz liebt den italienischen Begriff der „archipittura“, Verschränkung von Malerei und Architektur. Ohne den sinnstiftenden Hintergrund der Architektur wüßte er sich über ein Bild nicht klar zu werden.
„Die Wahrheit der Kunst ist die gelungene Form, nichts anderes.“
Merz bezieht sich auf Gottfried Benn. Dieser spricht in seiner Rede auf Stefan George vom Formproblem. Benn setzt dafür das Wort „Anordnungsnotwendigkeit“. Merz liebt dieses Wort. Mit schnellen Schritten sollte der Besucher durch die Ausstellung eilen, die Exponate kurz mustern und befriedigt konstatieren, daß es so stimme (oder auch nicht).
Im Kunstverein Baden-Baden hat Merz 1986 auch Rutenbündel ausgestellt: Symbole der alten römischen Republik, aber auch des italienischen Faschismus. Merz findet die Form dieser Rutenbündel überaus gelungen. Kritiker haben Merz daraufhin den obligaten Faschismusvorwurf gemacht. Natürlich ist das völlig unsinnig bei einem Mann, der jede Funktionalisierung und Ideologisierung der Kunst haßt wie der Teufel das Weihwasserfaß. Aber vielleicht ist Merz ein wenig frivol, und vielleicht liebt er bei aller Stille doch auch ein bißchen den Rummel.
Als im 19.Jahrhundert die Architektur durch die Industrialisierung vor neue Bauaufgaben gestellt wird: Fabriken, Verwaltungsgebäude, Wohnblocks, Ausstellungshallen, reagiert sie darauf lange hilflos mit dem Historismus, einem bunten Stilkarneval, dem Rückgriff auf das Formenrepertoire vergangener Jahrhunderte. Erst am Anfang dieses Jahrhunderts gelingt ihr eine entsprechende Antwort auf die Herausforderung. Nach dem Willen von Suprematismus, de Stijl und Bauhaus, auf die Merz in seiner hannoverschen Ausstellung referiert, sollen Kunst und Leben, Alltag und Architektur zu neuer Harmonie finden. Künstlerisch soll diese entstehen aus einem Gleichgewicht der Kontraste. Dabei bildet der rechte Winkel als Schnittpunkt zweier Linien den elementarsten Kontrast. Die Poesie des rechten Winkels, der Rekurs auf einfache geometrische Formen beherrschen das Denken und den Formwillen von Künstlern und Architekten. Malewitsch, dessen vielzitiertes schwarzes Quadrat geradezu zum Paradigma einer puristischen Moderne avancieren soll, stellt 1925 den Entwurf zu einem Arbeiterclub vor, wobei Formen und Volumen aus eben den Kontrasten rechtwinkliger Form entstehen.
Natürlich will die Kunst Einfluß nehmen auf das Leben. Raus mit der Kunst aus den Museen und rein in die Produktion, progagiert das Bauhaus. „Form follows function“ und Mies van der Rohes „Less is more“ sind reine Ideologie. Malerei, Plastik, Architektur und Gebrauchsgraphik zielen auf eine umfassende Ästhetisierung des Alltagslebens. Daß dies Programm später oft genug zu der Uniformierung degeneriert oder auch zu disziplinierender staatlicher Machtentfaltung mißbraucht wird, was die vielzitierte „Krise der Geometrie“ auslöst, all das kann der Betrachter schwerlich aus dem Blick nehmen - um so mehr, als Merz explizit mit Namen und Pathosformen operiert. Damit reklamiert er ja geradezu den entsprechenden Kontext für sich. Den auf reine Formanspielung beschränkt wissen zu wollen, erscheint ziemlich willkürlich. Und welche Formen gibt es letztlich in seinen Ausstellungen zu besichtigen? Die Originalität von Merz ist das Zitat, seine Ausstellungen sind Inszenierungen pathetischer Referenzen.
Auf Mies van der Rohes epochemachendes Diktum „Less is more“ hat die Kollegenzunft schon längst mit „Less is a bore“ geantwortet. Merz ist ein eloquenter Theoretiker, aber ein phantasieloser Künstler. „Merz is a bore.“
Noch bis zum 30.September im Kunstverein Hannover;
Katalog an der Kasse 48 DM
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