CDU und die Jungen: Die Jugend ist nicht homogen

An der Zerrüttetheit der christdemokratischen Seele entscheidet sich nicht nur das Schicksal der Union, sondern auch die deutsche Klimapolitik.

»Der Konservative zergeht in seiner Bedrängnis durch Moderne und Liberalismus«: CDU-Politikerin Diana Kinnert in Berlin. Bild: PAULA WINKLER

Von DIANA KINNERT

In der Frage der richtigen Politik im Kampf gegen den Klimawandel scheiden sich nicht nur intergenerationell die Geister. Die Formel von Alt gegen Jung, wie man sie vor allen Dingen nach dem Votum der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union zu predigen versuchte, scheint beim Klimathema zunehmend aufgebraucht. Zu deutlich wird auch die Polarisierung in einer einzigen Generation, in der älteren wie auch in der jüngeren.

Vor allem die Landtagswahlergebnisse im Osten Deutschlands haben Aufschluss über das politische Innenleben in den Köpfen der Jungen geben können. Konnten die mit dem Klimathema stark identifizierten Bündnisgrünen bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr dieses Jahres ihr Glück kaum fassen, verfehlen sie ihre Wahlziele im Osten deutlich.

Denn auch die Jugend ist eben kein homogenes Gebilde. Der Konflikt verläuft zwischen progressiven Städtern und einer konservativ eingestellten Landbevölkerung genauso wie zwischen wohlstandssattem Bildungsbürgertum im Westen und einer von Selbstergriffenheit entnervten und an konkreten Aufstiegschancen interessierten Ostbevölkerung. Auch dreißig Jahre nach dem Mauerfall sind Unterschiede geblieben, sicher auch Defizite im Umgang.

Eine anhaltende Kultur der Nichtbegegnung

Wie aber lässt sich erklären, dass Hannover seinen ersten grünen Oberbürgermeister bejubelt, türkischstämmig und mit der Forderung nach der autofreien Innenstadt angetreten, während bei den Wahlen in Thüringen ausgerechnet die rechtsextreme und den menschengemachten Klimawandel verleugnende Alternative für Deutschland Spitzenreiter bei den 18- bis 29-Jährigen ist? Der Zuwachs der Grünen im Vergleich zu 2014 beträgt bei den Jungen gerade einmal zwei Prozentpunkte, trotz der popkulturellen Avantgarde, die das Thema über den halben Globus schwemmt und mit der Ikonisierung einer Greta Thunberg sicherlich auch Themenfremde durchpolitisiert.

Man muss keinen schwarz-grünen Sammelband lesen, um zu wissen, dass im ökologischen Umbau unserer Volkswirtschaft ein gewaltiges Wohlstandsversprechen steckt.

Bei den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen 2020 ist zu erwarten, dass vor allem die jungen Klimaaktivisten um Fridays for Future derartig mobilisieren werden, dass auch die Rathäuser in den Industriehochburgen Bochum, Duisburg und Wuppertal vor grüner Kaperung stehen. In Thüringen hingegen wären die Bündnisgrünen beinahe an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Gelöst haben darauf nicht nur ostdeutsche Rechtspopulisten reagiert, sondern vor allen Dingen auch viele gemäßigte Konservative. Geleistet hatten sie dafür sehr wohl wenig.

Warum zwischen grünen Klimaaktivisten auf der einen Seite und der bürgerlichen bis konservativen Mitte auf der anderen Seite eine ungewöhnlich wahrnehmbare Sprachlosigkeit und eine inzwischen schon ein Jahr anhaltende Kultur der Nichtbegegnung herrscht, begründen letzte vor allen Dingen mit der zunehmenden Radikalisierung der ersten.

Der Geruch des Kompromisslosen

Wer für eine ernstere und effektivere Umweltpolitik auf die Straße geht, mache sich schnell gemein mit Bewegungen wie der aus London stammenden Extinction Rebellion, deren Sprecher mancherorts auch Demokratieverachtendes und Totalitäres vom Stapel lassen oder der Freiheit des Einzelnen einen planwirtschaftlichem Autoritarismus entgegenstellen, heißt es. Ihre Verachtung gegenüber gesellschaftlich ausgehandelten Kompromissen und ihr Reaktionismus hin zur Sabotage des Parlamentarismus verdient den ernsten Widerspruch, zumindest aber die absolute Vorsicht, auch der grünsten Demokraten.

Auch militante Aktionen sind nicht lange ausgeblieben. Bereits im September waren Brandanschläge auf Leitungen und Kabel der Berliner Verkehrsbetriebe verübt worden. Verletzt wurde niemand, bekannt haben sich Unterstützer von Fridays for Future, die die Bewegung zwar nicht vereinnahmen wollen, sich ihr aber zugehörig fühlen.

Zwar haben sich die Schulstreikenden vornehm distanziert und Gewaltbereitschaft auf das Schärfste verurteilt, der Geruch des Kompromisslosen haftet ihnen dennoch an. Jene, die sich im öffentlichen Nahverkehr durch die Städte bewegen, ihre Kinder in Kindergarten und Schule abliefern und sich dann auf den Weg in den Berufsalltag machen, haben für die Blockade ganzer Verkehrsknotenpunkte keinerlei Verständnis.

Differenzierte und auf Realisierbarkeit geprüfte Konzepte

Der Generalstreik zum Sturz eines nach antifaschistischer Maxime verdorbenen und pervertierten Wirtschafts- und Ordnungssystems ist vieles, aber eben keine verführerische Einladung an die politische Mitte der Gesellschaft. Dass der Kulturkampf gegen das Automobil und die Verteuerung der Heiz- und Benzinkosten ausgerechnet den einkommensschwächeren Teil der Bevölkerung attackiert, mag an jenen vorbeigehen, die ihren Ideologismus als Klassenkampf gegen die wirtschaftliche Obrigkeit stilisieren.

So erstaunt nicht, dass der überwiegende Teil der politischen Mitte, und darunter eben auch bürgerliche Gemäßigte und Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft, der Klimabewegung die Treue abschlagen, weil sie zwar Klimapolitik wollen, nicht aber Systemsturz. Hier aber wäre eine neue Sachlichkeit und das Zurück zu einer nüchternen Trennschärfe vonnöten, statt sich hochgejazzter Kulturfolklore und den Verkürzungen und Übertreibungen auch konservativer Populisten stattzugeben. Denn wirklich systemfeindlich ist nur ein verschwindend geringer Teil der Klimaaktivisten.

Die überwiegende Mehrheit, die Millionen jungen und alten Menschen auf deutschen Straßen, sind antiideologisch und differenziert. Sie fordern eine von unzähligen renommierten Wissenschafts- und Forschungsinstituten getragene höhere Priorisierung der Klima- und Umweltproblematik in der politischen Auseinandersetzung, erinnern mit Nachdruck an die von der eigenen Regierung gezogenen roten Linien des Pariser Klimaabkommens und sind sich sogar mit den Wirtschaftsweisen und führenden Industriellen einig, dass der in einem Emissionshandel eingeführte CO2-Preis deutlich höher sein muss, damit der deutschen Industrie ein Anreiz zum ökologischen Umbau seiner Geschäftskorridore entsteht. Die überwiegende Mehrheit ist sich der neuen sozialen Frage hinter der Verteilung der Umweltkosten sowie dem Entstehen neuer Wohlstands- und Aufstiegspotenziale bewusst. Sie fordert, was von Politik zu fordern ist: differenzierte und auf Realisierbarkeit geprüfte Konzepte.

Dieser Beitrag stammt aus

taz FUTURZWEI N°11

So viel Inkompetenz bereitet Sorge

Man muss sich nicht am Talkshow-Auftritt des Junge-Union-Chefs Tilman Kuban orientieren, der Bündnisgrüne als Angstprediger verunglimpft und sie mit rechtsextremen Populisten gleichsetzt, oder sich am neuen Vokabular des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer abarbeiten, der mit »Inländer-Diskriminierung« auf die zu hohe Abgabenlast des Einzelnen durch ein sehr, sehr zurückhaltendes Klimapaket hinweist und damit die Gunst der Ostdeutschen zu gewinnen versucht.

Auch die CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag kontert in einem neuen Videoformat, Stichwort Rezo, mit persönlichen Angriffen auf Greta Thunberg statt konkurrierenden und besseren politischen Antworten. Und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wird nicht müde zu behaupten, Fridays for Future seien nicht mehr als rückwärtsgewandte, schlecht gelaunte Boykotteure, er treffe sich lieber mit jungen Ingenieuren.

So viel Inkompetenz bereitet Sorge. Vor allem, wenn man weiß, dass es auch anders gehen kann, gerade auch in der eigenen politischen Szene. Patrick Kunkel, Bürgermeister der CDU in der Stadt Eltville am Rhein, hat die Schulstreikenden gleich in sein Rathaus beordert. Unter »#YCFF – Your City for Future« wird in der städtischen Jugendarbeit nun regelmäßig, gemeinsam und konstruktiv an Mobilitätskonzepten, wirtschaftlichen Kreislaufsystemen und Nachhaltigkeitsoffensiven für die Region gearbeitet.

Konservative fühlen sich an die Wand gestellt

Im waldärmsten Flächenland der Republik rief Unions-Ministerpräsident Daniel Günther zum Tag der Deutschen Einheit zum ersten Einheitsbuddeln auf. Das Baumpflanzen solle fortan jährlich deutsche Tradition werden – gegen das immense Waldsterben und als Beitrag für einen wirksamen Klimaschutz, heißt es aus der progressiven Jamaika-Regierung in Schleswig-Holstein. Dem Plädoyer für Aufforstungen schlossen sich nicht nur zügig, sondern nahezu enthusiastisch auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Julia Klöckner als Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz an. Greta Thunberg zog mit einer globalen Kampagne für das Baumpflanzen nach.

Norbert Lammert, inzwischen Chef der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, sorgte erst kürzlich mit einer auf den ersten Blick unscheinbaren Buchvorstellung für Furore. Lammert verantwortete, Parteichefin Kramp-Karrenbauer laudatierte. Ausgerechnet unter Ralf Fücks, inzwischen Chef des progressiven Thinktanks »Zentrum Liberale Moderne«, waren gut zwei Dutzend Aufsätze zur Versöhnung von Ökonomie und Ökologie zusammengetragen worden. Ein Altgrüner im indirekten Unionsauftrag, die eigene Erneuerung in Sachen Klima- und Umweltprogrammatik aus den theoretischen Grundpfeilern der Sozialen Marktwirtschaft herzuleiten? Wo sind die Unionsintellektuellen?

Sie fühlen sich an die Wand gestellt. Getrieben von den ureigenen Themen der Opposition wirkt jeder programmatische Schlichtungsversuch zwischen nationaler Industrieoffensive und globaler Klimaverantwortung wie ein ideologisches Eingeständnis. Dabei treffen gesellschaftliche Liberalisierung, technologischer Fortschritt und die Soziologie der Postmoderne den konservativen Menschen doch sowieso schon mitten ins Herz.

»Nicht Merkel hat die CDU entkernt«, sagt Kinnert. Bild: PAULA WINKLER

Jahrzehntelang gelernte ideologische Grabenkämpfe

Nicht Angela Merkel hat die CDU entkernt: Die Geschwindigkeit des Weltverlaufs, der stetige Umgebungswechsel und die Frage nach Selbstverortung, ein permanenter Veränderungs- und Anpassungsdruck – all das macht die Selbstvergewisserung des sich als Bewahrer Verstehenden zur Bedingung für einen souveränen und emanzipierten politischen Umgang.

Bürgerliche Politik scheut die politische Auseinandersetzung mit sämtlichen Themen, die aus den Federn der geschichtlichen Gegenspieler stammen. Wer sich ihnen annehme, müsse schließlich das Zuschütten jahrzehntelang gelernter ideologischer Grabenkämpfe fürchten. Dann aber reicht das Schielen auf den Mann Merz nicht mehr aus, um sich nicht-links erhaben zu fühlen. Schwierig genug, nachdem das Bild des rechten Hardliners in Abgrenzung zu Rechtsextremen nun noch weniger Sympathie genießt als sowieso schon.

An der Zerrüttetheit der christdemokratischen Seele entscheidet sich nicht nur die viel diskutierte Führungsfrage und das Schicksal der Partei, sondern eben auch die deutsche Klimapolitik und mit ihr ein weltweiter politischer Richtungsstreit. Nur wenn Christdemokraten aller Verantwortungsebenen den Kultursymbolen vergangener Jahrzehnte entsagen und mit rauchenden Schornsteinen, Geschwindigkeitsexzessen auf deutschen Autobahnen und dem vorweihnachtlichen Konsumrausch inklusive in Abgasen stehenden Innenstädten nicht mehr nur gesellschaftlichen Fortschritt assoziieren, kann eine bedeutsame und zukunftsweisende Beschreibung des Konservativen entstehen.

Eine emanzipierte Eigenschau ist notwendig

Der Konservative zergeht in seiner Bedrängnis durch Moderne und Liberalismus. Sein Selbstbild war immerzu angereichert von der Abgrenzung zu planwirtschaftlichen und extremistischen politischen Gegenspielern. Eine emanzipierte Eigenschau war niemals vonnöten. Heute aber wird sie notwendig. Starke Schultern sind längst schon nicht mehr traditionalistische Besitzstandswahrer, sondern liberale Anpassungsfähige, diverse Pragmatiker und eine sich als global verstehende Jugend. Konservative haben neue Milieus zu erobern; die alten schmelzen weg.

Programmatisch zumindest wäre es ein leichtes. Man muss keinen schwarz-grünen Sammelband lesen, um zu wissen, dass im ökologischen Umbau unserer Volkswirtschaft ein gewaltiges Wohlstandsversprechen steckt. Mit der Internalisierung der Umweltkosten und damit dem Vorzeichnen sauberer Korridore für neue Zukunftsmärkte sowie dem Export europäischer Klimatechnologien würden Partizipations- und Aufstiegschancen für einen ganzen Kontinent entstehen. Offensiven in Plattformökonomien und datenbasierte Produktoptimierungen und Investitionen in die Infrastruktur des ländlichen Raums sowie eine Neuauflage moderner Investitionskultur, auch in grüne Start-ups – das Niveau klassenkämpferischer Debatten über SUV- und Flugverbote hätten Christdemokraten dann lange nicht mehr nötig.

Die Überführung politischer Bedürfnisse in staatliche Strukturen von effektiver wie verlässlicher Ordnungspolitik und das Verständnis über die Bedeutsamkeit des Multilateralen im Generellen sind der Schlüssel für eine wirksame und versöhnende Klimaschutzpolitik. Die CDU hält ihn in der Hand.

DIANA KINNERT, 28, ist Unternehmerin für grüne Innovationen und Technologien. CDU-Mitglied seit 2009, Buchautorin (Für die Zukunft seh' ich schwarz).

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